Irak "Ich will nach Hause"

Die instabile Lage mache eine längere Anwesenheit nötig - wurde den US-Soldaten im Irak mitgeteilt. Wann sie besser wird, weiß niemand. Unter den 9 000 Soldaten der 3. Infanterie-Division, die den Großteil der Kämpfe bestritt, macht sich Frust breit.

Abgeordnete und Senatoren im US-Kongress erhalten in diesen Tagen viel Post aus dem Irak. "Danke sehr, dass Sie unseren Einsatz für Frieden und Freiheit so stark unterstützen", heißt es im Schreiben eines amerikanischen Soldaten an einen republikanischen Parteifreund von Präsident George W. Bush. "Aber wissen Sie was? Ich will nach Hause." Offenkundig nicht nur er. "Die meisten Soldaten hier würden ihre Bankkonten plündern, um ein Flugticket in die Heimat zu kaufen", schildert ein Unteroffizier in einem Brief an den demokratischen Abgeordneten aus seinem Wahlkreis.

Kein baldiges Ende in Sicht

Der 29-Jährige tut nunmehr schon seit sieben Monaten am Golf Dienst. Und für ihn ist kein baldiges Ende in Sicht. Der Briefschreiber gehört zur 3. Infanterie-Division, die beim Kriegsbeginn in den Irak einmarschierte und dort den Großteil der Kämpfe bestritt. 9 000 Soldaten dieser besonders belasteten Division erfuhren zum Wochenbeginn, dass sie nicht - wie ihnen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld noch vor wenigen Tagen versprochen hatte - spätestens im September heimkehren können, sondern erst dann, wenn daheim schon die Weihnachtsvorbereitungen beginnen. Und auch das ist noch nicht einmal sicher. Die instabile Lage im Irak mache eine längere Anwesenheit nötig, wurde den Soldaten mitgeteilt. Wann sie besser wird, weiß aber derzeit niemand.

Im Washingtoner Kapitol löste die Nachricht tiefe Besorgnis aus. "Den Soldaten wurde vorgegaukelt, dass das nicht lange dauert", sagte der ranghöchste Demokrat im Streitkräfteausschuss des Abgeordnetenhauses, Ike Skelton. "Wenn sie noch wer weiß wie lange bleiben müssen, lässt das die Truppenmoral ganz gewiss sinken."

Alarmmeldungen an der Heimatfront

Wenn das überhaupt noch möglich ist. An der Heimatfront USA treffen immer häufiger Alarmmeldungen ein, nach denen die Moral bei den US-Streitkräften im Irak bereits einen Tiefpunkt erreicht hat. Danach zeigen immer mehr Soldaten Stress-Symptome wie Schlaflosigkeit, Apathie und unkontrollierte Gefühlsausbrüche. Immer häufiger komme es vor, dass sich die Männer und Frauen in Uniform gegenseitig anschrien und auch gegenüber den Einheimischen ungeduldig und zornig reagierten.

"Sie sprechen sich gegenüber jedem aus, der zuhören will", zitierte der "Christian Science Monitor" einen Offizier. "Sie schreiben Briefe, sie weinen, sie brüllen herum. Viele von ihnen laufen mit sichtbar müden und deprimierten Gesichtern herum. (...) Wir fühlen uns wie Schachfiguren in einem Spiel, in dem wir nichts zu sagen haben."

Soldaten mit Stress-Erscheinungen

Oberst Robert Knapp ist ein Psychiater bei einer Kompanie für die medizinische Betreuung der US-Streitkräfte im Irak. Er hat allein in den vergangenen sechs Wochen über 100 Soldaten mit Stress- Erscheinungen betreut, manchmal bis zu 18 am Tag. Dabei sind es nicht nur verzögerte Reaktionen auf die Kämpfe im Krieg wie Albträume und aufflackernde Bilder von Blut und toten Menschen, die Soldaten quälen. Auch der "operative Stress", so erläutern Experten, fordert seinen Zoll. Gemeint sind damit die Auswirkungen der anhaltenden Attacken aus dem Hinterhalt auf die Amerikaner, das Gefühl, im Irak gar nicht erwünscht zu sein. "Jedes Mal, wenn du aus deinem Quartier auf die Straße gehst, dann bist du nervös", zitiert die "New York Times" einen Soldaten.

Aber auch bei den Angehörigen daheim machen sich zunehmend Frust, Ungeduld, Stress, Enttäuschung und Zorn bemerkbar. In Fort Stewart (Georgia), der Heimatbasis der 3. Infanteriedivision, sprach kürzlich ein hochrangiger Militärvertreter zu einer Gruppe von Ehefrauen und Müttern, die sehnsüchtig auf die Heimkehr ihrer Männer, Söhne und Töchter warten. Die Frauen machten ihren Gefühlen derart lautstark Luft, dass der Offizier seinen Auftritt abbrach und das Weite suchte.

DPA
Gabriele Chwallek