Irak-Krise 20.000 Kämpfer gegen die Koalitionsstreitkräfte

Die Koalitionstruppen im Irak haben es mit weitaus mehr Aufständischen zu tun als bisher angenommen. Die Ansicht, dass es sich fast nur um ausländische Terroristen handelt, ist trügerisch.

Die Aufständischen in Irak können auf weit mehr Unterstützung zählen als von den US-Streitkräften bisher angenommen: Schätzungsweise 20.000 Kämpfer haben sich dem Widerstand gegen die Koalitionstruppen verschrieben, rund vier Mal so viele wie vermutet. Sie agieren in regionalen, gut durchorganisierten Gruppen, oft unter der Leitung von örtlichen Stammesführern, wie aus US-Militärkreisen verlautete. Und entgegen der Ansicht der Regierung in Washington sind die meisten von ihnen Iraker - nicht ausländischen Terroristen, die die Errichtung eines islamischen Staates zum Ziel haben.

"Diese Zahlen sind lächerlich"

Vergangene Woche schätzten die Koalitionsstreitkräfte die Zahl der Aufständischen in Irak noch auf einen Kern von 4.000 bis 5.000 Mitgliedern der ehemaligen Baath-Partei des gestürzten Staatschefs Saddam Hussein. Dazu kämen mehrere hundert Anhänger des jordanischen Extremisten Abu Mussab Al Sarkawi und einige hundert ausländische Guerillakämpfer, hieß es. Diese Zahlen seien lächerlich, sagt dagegen Anthony Cordesman, ein Irak-Experte am Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS). Viele Aufständische beteiligten sich nur gelegentlich an Angriffen, konkrete Zahlen seien daher schwer auszumachen.

Dass es weitaus mehr als die geschätzten 5.000 Rebellen gibt, legt nach US-Angaben allein schon die Zahl der im April getöteten Iraker nahe. Unter den 4.000 Toten waren etliche aufständische Sunniten sowie schiitische Extremisten aus dem Umfeld des radikalen Predigers Muktada Al Sadr. Der zweite Grund, warum wesentlich höhere Schätzungen realistisch sind: Bislang haben die US-Streitkräfte rund 22.000 mutmaßliche Aufständische festgenommen, von denen die meisten bereits wieder aus der Haft entlassen wurden.

Unterstützung in der Bevölkerung

Unterstützung in der Bevölkerung haben die Guerillakämpfer reichlich, und die Vorbereitung und Ausführung von Angriffen und Anschlägen wird in Arbeitsteilung von spezialisierten Einheiten durchgeführt. Eine Gruppierung in Bagdad bestand US-Angaben zufolge aus zwei Anführern, vier stellvertretenden Leitern und zwei Geldgebern. Die rund 30 Mitglieder waren in einzelnen Gruppierungen für das Bauen von Bomben und die Durchführung von Angriffen aus dem Hinterhalt oder Anschläge mit Mörsergranaten und Raketen zuständig. Denn neben ihren zahlreichen Mitgliedern können die Aufständischen auf ein umfangreiches Arsenal von Waffen, auf finanzielle Unterstützung und eine solide militärische Ausbildung zurückgreifen. Viele Autobombenanschläge trügen die Handschrift der früheren Sicherheitspolizei Saddam Husseins, so der US-Gewährsmann.

Den Rebellen geht es dem Sprecher zufolge in erster Linie um mehr Einfluss im irakischen Staat, nicht um die Gründung einer taliban-ähnlichen islamischen Gesellschaft. Ziel sei vielmehr, Widerstand gegen die auch nach der Machtübergabe immer noch als Besatzung empfundene Präsenz ausländischer Truppen zu leisten. Irak sei nicht die Front eines Heiligen Krieges, betonte ein Sprecher der US-Streitkräfte in Bagdad.

Rebellenbewegung mit "nationalem Charakter"

Auch nach Cordesmans Ansicht sind US-Experten bisher viel zu sehr darauf bedacht, Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida von Osama bin Laden zu suchen. Jede Meinungsumfrage in Irak zeige dagegen, dass die Rebellenbewegung einen rein "nationalen Charakter" habe, so Cordesman. Die US-geführten Koalitionstruppen loszuwerden motiviere die Aufständischen, nicht das Ziel eines islamischen Staates, bestätigte auch der Militärsprecher. "Wir sind kein Haufen Taliban", hätten ihm mehrere irakische Stammesführer in Ramadi erklärt.

AP · DPA
Jim Krane/AP