Iran Das Regime schlägt zurück

  • von Benjamin Dierks
Seit einem halben Jahr protestiert die Opposition gegen das Mullah-Regime. Das schlägt zurück und zerstört die Netzwerke der Kritiker - mit Einschüchterungen und immer häufiger mit dem Galgen.

Narges Mohammadi sitzt in ihrer Wohnung in Teheran und hat Angst. In den letzten Wochen hat sich ihre Lage zugespitzt. "Der iranische Nachrichtendienst hat Kontakt mit mir aufgenommen", erzählt die Menschenrechtsaktivistin und blickt auf ihre zwei Jungen, die auf dem Boden hocken und malen. "'Glaube nicht, dass wir dich nicht verhaften, nur weil du zwei kleine Kinder hast', sagten sie mir, 'wir stecken dich samt deiner Kinder ins Gefängnis.'" Eine unmissverständliche Drohung des Regimes.

Gefunden in ...

Mohammadi ist Ingenieurin, sie arbeitete bis vor Kurzem für die Inspektionsfirma Iran Engineering Inspections - und nebenher für das betriebene Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte. Sie kennt die Macht des Staates: Ihr Mann, Taghi Rahmani, saß 15 Jahre für seine politische Arbeit hinter Gittern, einen Job als Wissenschaftler hat er danach nie wieder gefunden. Und vor wenigen Wochen verlor auch Mohammadi ihren Job: Als sie sich weigerte, ihre Arbeit für das Zentrum zu beenden, wurde ihr binnen einer Stunde gekündigt, nach acht Jahren im Betrieb.

Die Stimmung ist aufgeheizt

Die Stimmung im Iran ist aufgeheizt, besonders in dieser Woche. Denn trotz aller Repressalien mobilisiert die Opposition für den nächsten großen Protest. Wie zuvor wollen die Regimekritiker auch dieses Mal einen offiziellen Feiertag nutzen, um ihren Protest auf die Straße zu tragen - den Jahrestag der Islamischen Revolution, dessen offizielle Feiern am Montag begannen. Und auch dieses Mal dürfte das Mullahregime zurückschlagen. Während der letzten Proteste zum Aschura-Fest Ende Dezember wurden mindestens acht Oppositionelle von Polizei und Milizen getötet und Hunderte verhaftet. Die Revolutionsgerichte verhängen immer häufiger Todesstrafen gegen festgenommene Demonstranten. Die Sicherheitskräfte schrecken weder vor Beweisfälschung noch vor Drohungen gegen Kinder und Angehörige zurück. Und erst in der vergangenen Woche erreichte die Repression einen traurigen Höhepunkt: Zwei Oppositionelle, im Herbst in einem Schauprozess zum Tode verurteilt, wurden gehängt. Es scheint, als instrumentalisierten die Machthaber die Hinrichtungen, um Kritiker von weiteren Protesten abzuhalten.

Anwälte gelten inzwischen als Staatsfeinde

Und auch im Hintergrund greifen die iranischen Machthaber längst immer härter gegen die Kritiker durch. Systematisch attackieren sie die Strukturen der Opposition. Das Regime nutzt den Aufruhr der Gegner, um auch unter denen aufzuräumen, die sich abseits der Straße für Menschenrechte starkmachen, für einen humaneren Iran. Menschenrechtsaktivisten und Anwälte inhaftierter Regimekritiker werden immer offener bedroht oder selbst verhaftet. Ihre Büros werden geschlossen, Internetseiten gesperrt, der Kontakt zur Bevölkerung blockiert, ihre Netzwerke zerstört.

Die meisten von ihnen stellen weder das System der Islamischen Republik infrage, noch richtet sich ihre Arbeit direkt gegen die Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Sie versuchen lediglich, Beschuldigte im Rahmen der bestehenden Gesetze zu verteidigen. Dem Regime sind sie seit jeher ein Dorn im Auge, seit der Präsidentschaftswahl und dem Beginn der offenen Proteste aber werden sie so massiv angegriffen, dass sie ihrer Arbeit kaum noch nachgehen können. Inzwischen gelten sie als Staatsfeinde - und müssen nicht mehr nur um ihre Klienten, sondern auch um ihre Existenz fürchten.

Die Häscher des Regimes gehen selbst gegen Würdenträger der Islamischen Republik vor. Bei der Großdemonstration Ende Dezember wurde Ali Mussawi erschossen, ein Neffe des Oppositionsführers Mirhossein Mussawi. Ein paar Tage später verhafteten Beamte Nouschin Ebadi, die Schwester der prominenten Menschenrechtsanwältin und Nobelpreisträgerin Schirin. Die habe mit ihrer Arbeit nichts zu tun, protestierte Schirin Ebadi, die den Iran bereits vor Monaten verlassen hat. Das Vorgehen hat Methode: Seit ihrer Ausreise werde auch Ebadis Mann in Teheran mit Anrufen terrorisiert, berichten Vertraute: Seine Frau solle besser nicht in den Iran zurückkehren, sonst werde sie umgebracht.

"Alle Menschenrechtsanwälte sind in Gefahr"

Die Konfiszierung von Ebadis Nobelpreis im November machte das Regime nur nach heftigem internationalem Druck rückgängig. Zurückgegeben wurde allerdings nur die Medaille, nicht das beschlagnahmte Geld. Ihre Konten blieben eingefroren, auch die des von ihr geleiteten Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte.

"Wir wurden all unserer Möglichkeiten beraubt", sagt Narges Mohammadi in ihrem Teheraner Wohnzimmer. Als Stellvertreterin Ebadis soll sie das Zentrum eigentlich führen, nur wie? "Unser Büro wurde geschlossen. Wenn jemand Probleme an uns herantragen will, bin ich gezwungen, in meiner Wohnung mit ihm zu sprechen", sagt sie. Und auch dort ist sie nicht allein. "Ich fühle mich, als würden wir mit dem Nachrichtendienst zusammenleben. Sie sind es, die uns erlauben, zu arbeiten oder nicht. Sie sagen uns, ob wir in unserem Haus bleiben dürfen oder nicht, ob wir reisen dürfen."

So geht es auch anderen. "Alle Menschenrechtsanwälte sind in Gefahr", klagt die Juristin Nasrin Sotudeh. Jeder ihrer Kollegen habe mindestens ein Gerichtsverfahren am Hals, meistens am berüchtigten Revolutionsgericht, das unabhängig von den regulären juristischen Einrichtungen alles verfolgt, was tatsächlich oder vermeintlich die islamische Ordnung infrage stellt.

Der Protest gegen die Präsidentschaftswahl vor einem halben Jahr glich einem Fanal. Der Kampf gegen die Verteidiger der Menschenrechte eskalierte, überall im Land. Die Aktivistin Schiwa Nasarahari wurde zwei Tage nach der Wahl in ihrem Büro verhaftet. Über einen Monat verbrachte sie in Einzelhaft. Die schließlich ausgesetzte Kaution von 500.000 Dollar konnte ihre Familie nicht aufbringen. Und einer ihrer Peiniger steckte ihr, dass sie auch nach Zahlung der Kaution nicht freikommen werde. Ähnlich erging es dem Rechtsanwalt Abdolfattah Soltani, der viele prominente Regimekritiker vertreten hatte: Zivilbeamte suchten ihn in seiner Kanzlei auf und gaben sich als Klienten aus, bevor sie ihn verhafteten. Er kam erst frei, nachdem seine Familie als Kaution die Eigentumsurkunde seiner Kanzlei hinterlegt hatte.

Gerichte verfahren illegal

Wie sollen die Anwälte unter diesen Umständen arbeiten? Wie ihre inhaftierten Klienten vertreten, wenn sie nicht mal Kontakt aufnehmen dürfen? "Alle Abteilungen des Revolutionsgerichts verfahren illegal", sagt die Anwältin Sotudeh in ihrem Büro.

Warum auch gegen sie ein Verfahren läuft, kann sie juristisch nicht verstehen - politisch schon. Sie hat sich mit ihrem unermüdlichen Kampf gegen die Todesstrafe für Jugendliche einen Namen gemacht, über ihrem Schreibtisch hängt die Urkunde eines italienischen Menschenrechtspreises, der ihr vor einem Jahr verliehen wurde. Persönlich in Empfang nehmen konnte sie ihn allerdings nicht. Auf dem Weg nach Italien wurde am Flughafen ihr Pass eingezogen.

Nun sagt sie: "Seit den Wahlen ist es noch gefährlicher geworden, jeden Tag habe ich Angst, dass sie mich oder andere Anwälte verhaften." Sotudeh spricht leise, ihre Augen liegen tief. "Mitarbeiter des Geheimdienstes sagten mir, dass sie mein Büro überwachen, meine Wohnung und den Kindergarten meiner Tochter." Dabei sei ihr nichts vorzuwerfen, sie arbeite im Rahmen des Gesetzes. "Sie sind es, die illegal handeln." Gerade jetzt ist die Arbeit von Anwälten und Aktivisten nötiger denn je. Das iranische Mullah-Regime reagiert mit drakonischen Strafen auf die Proteste seiner Kritiker. Beispiele gibt es genug, überall im Land.

Anwältin beim Prozess nicht dabei

Auch Nasrin Sotudeh hat mehr zu tun, als ihr lieb ist. Im November wurde ihre Mandantin Atefeh Nabawi zu vier Jahren Haft verurteilt. Die 28 Jahre alte Studentin nahm an einer Demonstration teil und wurde festgenommen. Das Revolutionsgericht sprach sie der Störung der öffentlichen Ordnung und der Verschwörung gegen das Regime schuldig. "Das ist ein sehr schweres Urteil", sagt Sotudeh.

Noch härter traf es Sotudehs Mandanten Resa Chademi. Er soll Rädelsführer auf Demonstrationen gewesen sein. Kaum möglich, erwidert Chademi, er sei doch schon am Tag nach den Wahlen verhaftet worden. Das Gericht verurteilte ihn dennoch zum Tod. Noch ist das Urteil nicht vollstreckt, Sotudeh hofft, dass es vielleicht doch ausgesetzt wird.

Viel Zuversicht hat sie allerdings nicht, wie auch? Im Herbst erhielt auch ihr Mandant Arasch Rahmanipur ein Todesurteil. Einer illegalen monarchistischen Vereinigung soll er angehört haben und "Mohareb" begangen haben, "Krieg gegen Gott". So nennt das Regime alles, was sich gegen die fundamentalistische Ordnung des Landes richtet. An keinem einzigen Prozesstag durfte Sotudeh ihm zur Seite stehen. Ihre letzte Hoffnung sei das Berufungsgericht gewesen, sagt sie. Diese Hoffnung wurde zerstört. Rahmanipur wurde am Donnerstag gehängt.

FTD