Mathematik war nie mein Ding, ich war ein ausgesprochen unbegabter Mathe-Schüler und freue mich noch heute aufrichtig über jeden Dreisatz, den ich unfallfrei hinbekomme. Vielleicht erklärt das meine Faszination für Menschen, die mit Zahlen und Formeln alles Mögliche anstellen. In Großbritannien leben offenbar relativ viele davon. Vor kurzem starb 93-jährig Raymond „Jerry“ Roberts, einer der legendären Codeknacker aus dem Zweiten Weltkrieg, die am Rande von London in Bletchley Park saßen, dort deutsche Botschaften entschlüsselten und halfen, den Krieg zu gewinnen. Deshalb sind alle Codeknacker Helden und Ritter im Vereinigen Königreich.
Roberts war zwar von Haus aus Linguist, aber offenkundig können britische Sprachwissenschaftler auch verblüffend gut Mathe. Das Schöne an Mathematikern und Physikern in England ist, dass sie sich nicht ausschließlich damit beschäftigen, wie die Welt zu retten ist. Vermutlich tun sie das nicht, weil die Welt ohnehin nicht zu retten ist, was Astronomen der University of East Anglia in Norwich schon mal grob berechnet haben. Demnach ist in spätestens 3,25 Milliarden Jahren Schluss mit der Erde. Allerspätestens. Vielleicht auch schon in 1,75 Milliarden Jahren. Womit das dankenswerterweise schon mal geklärt wäre und sich deshalb die meisten ihrer britischen Kollegen mit den wirklich drängenden Fragen der Menschheit befassen können.
Aus aktuellem Anlass, der Film Noah, beispielsweise erforschten Physik-Studenten der Universität von Leicester, ob tatsächlich 70 000 Tiere auf die Arche passten, ohne den Holz-Kahn zu versenken. Die jungen Akademiker hielten sich dabei streng an die biblischen Vorgaben (Genesis 6:13-22), kamen auf eine Schiffslänge von knapp 144 Meter, und: jawohl, die Arche hätte nach den Gesetzen des Archimedes mit allen Passagieren schwimmen können.
Sie verstehen hier was Populär-Wissenschaft.
Mit großem Erfolg läuft auf dem Comedy-Kanal „Dave“ die Mathe-Show „Dara Ó Briain: School of Hard Sums“, in der schlaue Leute zum Beispiel herausfinden, wo man in einer Diskothek wie stehen muss, um von möglichst vielen Frauen geküsst zu werden. Der optimale Standplatz ergibt im Übrigen eine durchschnittliche Kussquote von fünf.
Briten scheinen eine liebenswerte Obsession mit Zahlenwerk und Statistiken entwickelt zu haben. Gerade erst hat der Mathe-Autor Alex Bellos herausgefunden, dass die 7 die populärste Ziffer der Welt und die 110 - warum auch auch immer - der absolute Ladenhüter unter den Lieblingszahlen der Menschheit ist. Schneewittchen und die 110 Zwerge hätte sich allerdings auch bescheuert angehört.
Fast jeden Tag stehen solche wunderbaren Sachen in den Zeitungen und darüber hinaus herrlich sinnfreie Statistiken und Ranglisten. Mal mehr und mal weniger wissenschaftlich unterfüttert. Frauen etwa telefonieren 49 Minuten pro Woche mit ihrer Mutter, das macht zwei Tage im Jahr oder fast zwei Monate im Laufe von etwa 32 Jahren. Wenn ich mich nicht verrechnet habe.
Mindestens ebenso gewichtig: 45 Prozent aller britischen Hunde, 40 Prozent aller britischen Katzen und 28 Prozent aller britische Hamster und Meerschweinchen sind zu fett, weil sie zu oft mit Bier und Chips gefüttert werden. Was statistisch betrachtet auch gewisse Rückschlüsse auf den Lebenswandel ihrer vielen Millionen Besitzer zulässt. Warum allerdings die Bewohnerinnen der nordenglischen Stadt Wigan nach neuesten Erhebungen mit einem Körbchengrößen-Schnitt von 36F die kapitalsten Brüste Großbritanniens besitzen und Waliserinnen mit 34B die kleinsten bleibt vorerst auch mathematisch ein Rätsel.
Prinzipiell aber geht nichts über die Reinheit der Wissenschaft und die Schönheit der Zahl.
Vor dem berühmten Pferderennen „Grand National“ am vergangenen Wochenende behauptete der Mathematiker William Hartston aus Cambridge, er habe die ultimative Erfolgsformel aus den Resultaten aller bislang gelaufenen Grand Nationals seit 1839 destilliert. Die Formel geht so: Ln + Wn + In + Ah + 0,5(TF + TS) und basierte auf der absolut logischen Annahme, dass die meisten Gewinner in der Geschichte des Rennens neun Jahre alt sind. Und ein Pferd, dessen Namen mit M beginnt und maximal zehn Buchstaben lang ist, die besten Chancen habe. In diesem Jahr addierte Mr. Hartston sicherheitshalber auch noch die Namen der Trainer dazu. Und – schwupps - heraus kam als Top-Favorit ein Tier namens „Monbeg Dude“.
Auf den setzten wir selbstverständlich sofort fünf Pfund. „Monbeg Dude“ wurde aber nur Siebter.
Ich hätte es wissen müssen. Nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und vor allem: meiner Geschichte mit Mathe.