Mail aus Mumbai Freies Fressen für freie Hunde!

  • von Swantje Strieder
Wer in Mumbai einen streunenden Hund füttert, verstößt gegen die Hygieneverordnung. Auch weil in der Stadt Futterneid selbst zwischen Mensch und Tier herrscht. Um den Straßenkötern Herr zu werden, so ein Richter nun, solle doch bitte jede Hausgemeinschaft einen Streuner adoptieren.

Heute morgen habe ich, obwohl ich mich als Gutmensch fühlte, gleich drei Straftaten begangen. Als erstes warf ich Hans und Franz, unserem zahmen Spatzenpaar, ein paar Toastkrümel hin. Dann habe ich ein Stück Papaya für die grünen Papageien, die in den Nachbarbäumen keckern, auf das Balkongitter gelegt. Und als dritte Tat habe ich noch Rani, unserer Streunerhündin, vom zweiten Stock aus zielgenau eine alte Chapati, ein Fladenbrot zwischen die Pfoten geworfen, sodass sie nur noch zuschnappen musste.

Wer Mumbais Köter und Katzen füttert muss blechen

Rani, ihr Name bedeutet Königin auf Hindi, wackelte zum Dank huldvoll mit dem Stummelschwanz, aber ich hatte damit gegen Paragraph 4.5 der Groß Mumbaier Hygiene- und Gesundheitsverordnung von 2006 verstoßen, was seit gestern ein Bußgeld von 500 Rupien, etwa neun Euro kostet. Seit gestern? In einer 18 Millionenstadt, wo sehr viele Menschen mit knurrendem Magen zu Bett gehen, sind Streuner von jeher nicht gern gesehen - sind Futterkonkurrenten, auch wenn Hindus allgemein sehr tierlieb sind. Mit dem Wirtschaftswachstum der letzten Jahre wuchsen auch die Müllberge - freies Fressen für freie Hunde, die sich umso schneller vermehrten. Und die sich als echte underdogs nun auch was trauen. Jedesmal, wenn so ein Gossenhund ein Kind anspringt, um ihm vielleicht das magere Schulbrot wegzuschnappen, erinnert sich die Stadt Mumbai plötzlich an ihre Pflichten. Deshalb sollen die Hundefänger nun auch als Menschenfänger agieren und Bußbescheide verteilen. "Feed that stray and pay" witzelte die Tageszeitung "Mumbai Mirror", wer also Mumbais Köter, Katzen, Krähen oder Kühe, ja selbst die Heiligen Kühe öffentlich füttert, muss ab sofort für sein gutes Herz blechen.

Die Autorin

Als Swantje Strieder vor einigen Jahren, damals für den "Spiegel", aus Indien berichtete, waren Hungersnöte, Mitgiftmorde und Grenzkriege die beherrschenden Themen. Nach Zwischenstationen in Rom, New York und Hamburg ist sie wieder nach Indien zurückgekehrt und lebt in der Mega-City Mumbai. Vom mühsamen und doch faszinierenden Alltag berichtet sie jede Woche in ihrer "Mail aus Mumbai".

Der Kampf zwischen Stadtverwaltung und Tierfreunden ist alt. In Korea wäre er längst zugunsten des Kochtopfs ausgegangen, Hundefleisch gilt dort als Delikatesse. Im vegetarischen Indien beschäftigt der Streit pro oder kontra Fifi immerhin die Gerichte. Niemand weiß, wieviele Köter durch die Straßen und Slums der 18 Millionenstadt streifen. Etwa eine halbe Million, schätzen die Bürokraten. Eine gefährliche wilde Meute, die Schrecken und Krankheiten verbreite! Tatsächlich ist Tollwut, die auch von Hunden übertragen werden kann, in Indien weit verbreitet. Von einer diskriminierten Minderheit von etwa 70.000 lieben, netten Hundis sprechen hingegen die Tierschützer. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Um der Vierbeiner-Plage Herr zu werden, setzt die Verwaltung brutal auf Massentötungen, die Tierfreunde dagegen auf Sterilisation, was ein logistisches Problem ist und dazu ziemlich teuer. Und darüber streitet man vor Gericht.

Futterquelle Nummer eins: die wilden Müllplätze

Auf die Idee, als erstes die wilden Müllplätze an jeder Ecke Mumbais, also die Futterquelle Nummer eins für alle Aasfresser zu beseitigen, ist unsere Stadtverwaltung offenbar noch nicht gekommen. Bei meinen abendlichen Spazierwegen im Umkreis zweier Luxushotels habe ich die hiesige Bio-Müllaufbereitung life studiert: Kaum hatten unbekannte Zweibeiner einen frischen Haufen Haus- und Restaurantmüll in einer dunklen Straßenecke deponiert, kamen die Krähen. In Hundertschaften zeigten sie durch ihr rauhes Krächzen den Futterplatz an, bis ein halbes Dutzend Streunerhunde vom Strand angehechelt kamen und die Plastiktüten mit ihren Klauen und Zähnen auseinanderriss. Dann strichen klapperdünne Katzen herbei und stürzten sich auf den stinkigen alten Fisch, den die Herren Hunde mit ihren feinen Geschmacksknospen verschmähten. Als nächstes taten sich Nachbars Hühner an den Gemüseresten gütlich, bis sie von den fettesten Ratten, die ich je sah, verscheucht wurden. Am Ende der Woche lagen nur noch stinkende Plastikteile da, die der städtische Müllmann gnädig wegkarrte. Nicht sehr hygienisch, werden Sie sagen, aber so funktioniert Mumbai nun mal.

Im Kleinkrieg mit den Hundeliebhabern greift die Verwaltung manchmal zu unfairen Mitteln. So beschwerte sich Tierfreundin Namrata Kohli jüngst in der Tageszeitung "DNA", dass die Leute vom städtischen Hygieneamt acht ihrer Schützlinge vergiftet hätten, mit Pestiziden, die zur Malaria-Mückenbekämpfung vorgesehen waren. So manches Duell aber gewinnt auch Fifi und blamiert die ganze Verwaltung: Immer wieder gibt es auf dem Internationalen Flughafen Hunde-Alarm, weil irgendein Streuner aus dem nahegelegenen Slum sein Revier auf die Landebahn verlegt, wo die städtischen Hundefänger aus Sicherheitsgründen nicht eingreifen dürfen. 70 Airport-Streuner wurden allein in den letzten Monaten von einer dilettantischen Privatfirma eingefangen, nicht bevor sie für etliche Stunden den Flugverkehr lahmgelegt hatten. Rekordhalter ist eine Promenandenmischung, die es zu Beginn des Monsuns schaffte, über anderthalb Stunden Chaos zu verbreiten. Der Pilot, der sie sichtete, musste den Start abbrechen, zwölf Maschinen kreisten und kreisten und verjuxten teures Kerosin, fünf weitere Flüge wurden umgeleitet, während der Hund mit seinen Fängern "Räuber und Gendarm" spielte. Der Kauf eines Narkosegewehrs wäre billiger gewesen.

Adoptieren Sie einen Streuner!

Auf einer Anhörung von Tierfreunden und Stadt vor dem Landgericht machte Richter S Radhakrishnan jüngst einen Vorschlag zur Güte. Warum denn gleich umbringen, so der Richter, warum adoptiert nicht jede Hausgemeinschaft von Mumbai einen Streuner, was nicht viel teurer als 500 Rupien, als 9 Euro im Jahr kommen würde. Dafür hätten die Anwohner einen guten Wachhund vor der Tür und die Stadt sei alle Probleme los.

Adoptieren Sie einen Streuner! Tun wir doch schon, Herr Richter! Rani, unsere Königin, ist eine geborene Strandhündin, doch jetzt ist sie flohfrei, sterilisiert, stubenrein und, für Indien vorbildlich, Vegetarierin. Hamburger rührt sie nicht an. Sie brauchen sich nur umzugucken, Herr Richter! Vor beinahe jedem Haus in unserer Straße liegt ein rehabilitierter Straßenköter, ich kenne sie alle und sie mich. Jeden Morgen um acht werden die Hunde von einem weißhaarigen Alten gefüttert, ein frommer Hindu, der selber nichts auf der Naht hat: Es ist Ram, unser Straßenbettler. Soll er etwa Bußgeld dafür zahlen, dass er ein Herz für andere Straßenbewohner hat?