Wie konnte das nur passieren? Und damit ist nicht die Fremdgeh-Affäre gemeint, die den britischen Gesundheitsminister Matt Hancock nach Veröffentlichung eines Kusses mit seiner Mitarbeiterin zum Rücktritt zwang. Vielmehr stellt sich die Frage: Wie konnte das Video, das offensichtlich aus einer Überwachungskamera seines Büros stammt, in die Hände der Zeitung gelangen?
"Wir müssen herausfinden, wie es dazu kommen konnte", sagte Kabinettsmitglied Brandon Lewis am Sonntag dem Sender Sky News. Das Gesundheitsministerium werde eine interne Untersuchung einleiten.
Matt Hancock lehnte einen Rücktritt zunächst ab
Hancock war am Samstagabend zurückgetreten, nachdem besagte Bilder von ihm und seiner Mitarbeiterin Gina Coladangelo am Freitag von der Zeitung "The Sun" veröffentlicht wurden. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen galten strenge Abstandsregeln zu Mitgliedern fremder Haushalte, die Hancock selbst aufgestellt hatte. Der 42-Jährige hatte zugegeben, Abstandsregeln verletzt zu haben. Einen Rücktritt lehnte er zunächst ab.

Der Druck wurde dann aber so groß, dass er schließlich seinen Abschied aus dem Kabinett bekanntgab. Wer die Corona-Regeln aufstelle, müsse sich erst recht daran halten, sagte der konservative Politiker in einem Video, das am Samstagabend veröffentlicht wurde. In einem Rücktrittsgesuch an Premierminister Boris Johnson schrieb er: "Wir sind es den Menschen, die in dieser Pandemie so viel geopfert haben, schuldig, ehrlich zu sein, wenn wir sie enttäuscht haben – wie ich es durch den Bruch der Regeln getan habe." Er wolle nicht, dass sein Privatleben vom Kampf gegen die Corona-Pandemie ablenke, fügte Hancock hinzu.
Johnson hatte sich da noch hinter seinen Minister gestellt. Der Premierminister habe Hancocks Entschuldigung angenommen und betrachte die Angelegenheit damit als erledigt, hatte sein Sprecher gesagt. Dafür wurde er von der Labour-Politikerin Lucy Powell scharf kritisiert.
Kritik an Premierminister Boris Johnson
Dass der Regierungschef den Minister nicht gefeuert, sondern ihm zunächst den Rücken gestärkt hatte, zeige, dass Johnson "einen sehr gefährlichen blinden Fleck" bei Fragen der Integrität und des Verhaltens im öffentlichen Leben habe. Die Opposition forderte eine Untersuchung, ob der Minister seine mutmaßliche Geliebte vor Beginn der Affäre eingestellt hat oder erst danach. Zudem solle man ihm die vorgesehene Abfindung in Höhe von 16.000 Pfund (rund 18.500 Euro) verwehren. Alles andere wäre erschreckend und die Bevölkerung würde es nicht tolerieren, so Powell.
Der Minister und Coladangelo kennen sich aus dem Studium und sind beide verheiratet. Früher arbeitete sie als Lobbyistin, wechselte dann in Hancocks Beraterteam. Hancock war als Gesundheitsminister maßgeblich für den Kampf gegen die Corona-Pandemie und das britische Impfprogramm verantwortlich. Den Posten soll nun der frühere Finanzminister Sajid Javid übernehmen.
Hancock immer wieder unter Druck
Hancock war zuletzt durch Enthüllungen von Johnsons Ex-Berater Dominic Cummings stark unter Druck geraten. Cummings hatte Mitte Juni Chat-Protokolle veröffentlicht, in denen Johnson sich über seinen "hoffnungslosen" Gesundheitsminister beschwerte. Den Protokollen zufolge machte Johnson zu Beginn der Pandemie unter anderem für den Mangel an Beatmungsgeräten verantwortlich. "Es ist Hancock. Er ist hoffnungslos", schrieb der Premier demnach per Whatsapp-Nachricht an seinen damaligen Berater Cummings.

Zuvor war Hancock bereits wegen der Vergabe eines Auftrags an einen Freund unter Druck geraten. Außerdem wurde bekannt, dass Hancock an einem Unternehmen seiner Familie beteiligt ist, das in der Corona-Pandemie ebenfalls einen Auftrag erhielt.

In Großbritannien waren die Infektionszahlen wegen der sich rasch ausbreiteten Delta-Variante zuletzt wieder stark angestiegen. Die Regierung hatte die für den 21. Juni geplante Aufhebung aller Corona-Maßnahmen in England deshalb um vier Wochen verschoben.