Eigentlich sollte an diesem Freitag das seit mehr als drei Jahren suspendierte nordirische Parlament seinen Regierungsführer wählen. Das wäre aller Voraussicht nach der protestantische Unionisten-Führer Ian Paisley, seit Jahrzehnten bekannt für seine hass-erfüllten Reden gegen die IRA und seine Ablehnung jeglicher Annäherung an die katholisch-nationalistischen Nordiren. Sein Stellvertreter soll von der ira-nahen Sinn Féin Partei gestellt werden.
Paisleys Partei der demokratischen Unionisten DUP war bei den bisher letzten nordirischen Wahlen im Jahr 2003 zusammen mit Sinn Féin zur stärksten politischen Macht aufgestiegen. Zu dem Zeitpunkt war das Parlament bereits aufgelöst - wegen des Verdachts der Spionage von IRA-Mitgliedern hatten die Unionisten aus Protest die Versammlung verlassen. Denis Donaldson, einer der angeblichen IRA-Spione, wurde Ende 2005 als Doppel-Agent der britischen Regierung enttarnt und im April diesen Jahres in seinem Versteck in einer irischen Kate brutal ermordet.
Paisley redet nicht mit Sinn Fein
Seit der Suspendierung des Parlaments hängt der irische Friedensprozess in der Luft. Denn die beiden stärksten Parteien der nicht existente nordirischen Regierung müssten sich eigentlich auf den Regierungsführer und seinen Stellvertreter einigen. Doch bisher haben Ian Paisley und Sinn-Fèin-Führer Gerry Adams noch nicht einmal miteinander geredet.
Das britische Parlament hat in dieser Woche die Gesetzesgrundlage für eine Wiederaufnahme der nordirischen Autonomie durch das House of Commons gejagt. Doch die beiden Streithähne in Nordirland nähern sich kein Stück an. Was zu der seltsamen Situation führt, dass Großbritannien als "Besetzungsmacht" die Verantwortung so bald wie möglich abgeben will - sie haber in Nordirland niemand annimmt. Paisley sagt, dass er nicht mit Sinn-Féin redet, solange diese nicht die neu formierte nordirische Polizei anerkennt. Sinn Féin sagt, sie erkennen gar nichts an, wenn nicht erst der politische Prozess wieder in Gang gekommen ist.
Jeden Tag Gewalt
Nun ist es nichts Ungewöhnliches, das sich die beiden Konfliktparteien gegenüberstehen wie bockige Schuljungen. Kritiker des Friedensprozess sagen, dass dieser in seinen mehr als zehn Jahren Laufzeit nichts an der Apartheid-ähnlichen Atmosphäre in Nordirland geändert habe. Vielmehr seien durch die Stärkung der Extremisten auf beiden Seiten die Gräben nur tiefer gezogen worden. Tatsächlich ist Nordirland auch im Alltag nicht weniger geteilt als vor zehn Jahren: Immer noch gibt es Zäune und Mauern, die protestantische und katholische Gegenden von einander trennen. Jeden Tag gibt es ethnisch motivierte Gewalttaten auf den Straßen. Erst diese Woche wurde ein Ehepaar mit Hämmern totgeschlagen und angezündet. Noch will sich die Polizei zu dem Hintergrund dieser Tat nicht äußern, doch vier Männer tauchten mit schweren Verbrennungen in einem irischen Krankenhaus jenseits der Grenze auf - was ein Zeichen für ihre Verbindung zur nationalistischen Bewegung sein könnte.
Image der IRA ruiniert
Auf der anderen Seite hat sich Nordirland und vor allem die Hauptstadt Belfast sichtbar erholt von dem Bürgerkrieg mit mehr als 3500 Toten. Gerade hat die Touristen-Bibel "Lonely Planet" Nordirland zum "Muss-Reiseziel" des Jahres gewählt. Die Immobilien-Preise ziehen an, die Arbeitslosigkeit schwindet, Nordirland sieht den positiven Effekt der Gewaltfreiheit auf seinen Straßen. Ende Juli vergangenen Jahres hatte die IRA endgültig verkündet, ihre Ziele nur noch mit "friedlichen Mitteln" durchsetzen zu wollen. Und ein britischer Regierungsbericht bescheinigt die Wahrheit hinter den Worten: Die IRA habe tatsächlich ihre Waffenarsenale soweit reduziert, dass sie zu Terrorkampagnen nicht mehr in der Lage sei.
Zum Umschwung hat auch ziviler Zorn beigetragen. Im Januar 2005 war Robert McCartney in einem Pub von mehreren Männern angegriffen und mit Messerstichen getötet worden. Seine Schwestern hielten sich nach seinem Tod nicht an das ungeschriebene Gesetz, den Mund zu halten. Sie sagten öffentlich und laut, dass die Mörder der IRA angehörten und zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Die IRA dementierte erst und bot dann an, die Mörder selber zu exekutieren. Dieses Angebot schlugen die McCartney-Schwestern aus und verlangten einen ordentlichen Prozess, auf den sie bis heute warten müssen.
Balkanisierung Nordirlands
Doch ihre Öffentlichkeits-Kampagne kostete die IRA vor allem in den USA die Unterstützung vieler Exil-Iren. Auf einmal wurde öffentlich diskutiert, dass die bisherigen Freiheitskämpfer zu einer Bande organisierter Drogenkrimineller geworden war. Der Druck von außen hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich die IRA und ihr politischer Arm Sinn Féin die Waffen niederlegten, um im politischen Friedensprozess ihre Position zu halten. Das steht im Gegensatz zu den unionistischen Paramilitärs, die sich bisher geweigert haben, auch nur über die Abgabe ihrer Waffen zu verhandeln.
Vielleicht hofft die britische Regierung, dass sich mit Neuwahlen im März alles ändern könnte in Nordirland. Denn nachdem Paisleys DUP und Sinn Féin sich mehr als drei Jahre lang nicht einigen konnten und eben solange die Macht über Nordirland wieder bei der Londoner Regierung lag, könnten die nordirischen Wähler den politischen Auftrag des Friedensschlusses zurückgeben an die gemäßigteren Parteien. Doch große Hoffnung darauf besteht nicht. Umfragen zeigen bisher eher eine Zunahme bei den extremistischen Kräften. Politische Experten beschreiben die Situation als eine "zunehmende Balkanisierung". Es bleibt zu hoffen, dass ein Vergleich mit den Teilen des ehemaligen Jugoslawien nach diesem Freitag nicht über die Empfehlung der Redaktion des Reiseverlages "Lonely Planet" hinausgeht. Die nennt Nord-Irland das "neue Kroatien".