Zwei Tote Raketeneinschlag in Polen: Was wir wissen und was nicht

Zwei Tote nach Raketeneinschlag in Polen – Vorfall ruft Nato auf den Plan
Die Polizei untersucht im ostpolnischen Dorf Przewodow ein Getreidelager, das von einer Rakete getroffen wurde – zwei Menschen kamen bei dem Vorfall ums Leben.
© Wojtek Radwanski / AFP
Sehen Sie im Video: Explosion in polnischem Dorf nahe ukrainischer Grenze löst Nato-Beratungen aus.




Nach einer Explosion in einem polnischen Dorf unweit der Grenze zur Ukraine mit zwei Toten hat das Außenministerium in Warschau angegeben, diese sei am Dienstag um 15:40 durch den Einschlag einer russischen Rakete verursacht worden. Wenig später äußerte sich auch Staatspräsident Andrzej Duda, mit einer zurückhaltenderen Formulierung: "Wir haben im Moment keine schlüssigen Beweise dafür, wer diese Rakete abgefeuert hat... Es war höchstwahrscheinlich eine Rakete aus russischer Produktion, aber das wird im Moment alles noch untersucht." Polnische Medien hatten zunächst über den Einschlag zweier verirrte russische Raketen berichtet. Die Regierung gab an, der russische Botschafter sei einbestellt worden. Russland hatte zuvor abgestritten, dass die Explosion durch eine russische Rakete verursacht worden sei. Nach einer Eil-Sitzung des polnischen Sicherheitsrates wurde das Militär des Landes in erhöhte Bereitschaft versetzt. Zahlreiche Staaten stellten sich nach ersten Berichten demonstrativ an die Seite des Nato-Verbündeten. Auf der indonesischen Insel Bali traten die Staats- und Regierungschefs der G7 zu einem Sondertreffen zusammen. US-Präsident Joe Biden sagte, die Explosion in Polen sei nicht von einer aus Russland abgefeuerten Rakete verursacht worden. "Ich möchte das nicht sagen, bevor wir es nicht vollständig untersucht haben, aber angesichts der Flugbahn ist es unwahrscheinlich, dass sie von Russland abgefeuert wurde, aber wir werden sehen." Die USA und die Nato-Länder würden den Vorfall vollständig untersuchen, bevor sie handelten. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte eine "sorgfältige Aufklärung" des Raketeneinschlags ein Polen, vermied aber klare Schuldzuweisungen. Anders der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj, er gab Russland die Schuld für den Einschlag in Polen. Am Mittwoch kommen die NATO-Staaten zu Beratungen zusammen. Nach Angaben europäischer Diplomaten geschieht dies auf Bitten Polens, auf Grundlage der Nato-Charta. Artikel 4 sieht Beratungen vor, wenn sich ein Mitgliedsland bedroht sieht.
Der Einschlag einer Rakete auf polnischem Gebiet hat der Welt den Atem stocken lassen. Ist das die von allen Seiten befürchtete Eskalation im Ukraine-Krieg? Die Nato-Länder wollen zunächst abwarten, bis alle Fakten auf dem Tisch liegen. Was weiß man bisher? Ein Überblick.

Das ist über den Raketeneinschlag in Polen bislang bekannt:

  • Zeitgleich mit neuen massiven russischen Luftangriffen auf die Ukraine schlug am Dienstag eine Rakete auf dem Gebiet des Nato-Mitglieds Polen ein. Sie schlug am Dienstagnachmittag auf dem Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebs in Przewodow ein – einem Dorf ganz im Osten des Landes, keine zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt.
  • Mindestens zwei Menschen starben dabei. Es handelt sich um polnische Staatsbürger
  • Nach Angaben des polnischen Außenministeriums handelt es sich um eine Rakete aus russischer Produktion. Nach Angaben von Präsident Andrzej Duda stammte die Rakete "höchstwahrscheinlich" von der ukrainischen Luftabwehr. "Absolut nichts deutet darauf hin, dass dies ein absichtlicher Angriff auf Polen war", sagte der polnische Präsident am Mittwoch vor Journalisten. "Höchstwahrscheinlich war dies eine Rakete, die in der Raketenabwehr eingesetzt wird, das heißt, dass sie von den ukrainischen Verteidigungskräften eingesetzt wurde", sagte Duda.
  • Polen versetzte Teile seiner Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft. Warschau bestellte zudem den russischen Botschafter ein und alarmierte die Nato.
  • Ein polnischer Regierungssprecher erklärte, man habe mit den Nato-Verbündeten beschlossen zu überprüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des Nato-Vertrags einzuleiten. Am Mittwochvormittag wollten die ständigen Vertreter der Bündnisstaaten bei der Nato in Brüssel zu einer Krisensitzung zusammenkommen.
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Was wir noch nicht mit Sicherheit wissen:

  • US-Präsident Joe Biden sagte am Mittwoch am Rande des G20-Gipfels, die Flugbahn der Rakete lasse es "unwahrscheinlich" erscheinen, dass sie aus Russland abgefeuert wurde. Später berichtete er nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in einer der Krisensitzungen hinter verschlossenen Türen, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus Beständen der Ukraine handeln könnte. "Ich werde dafür sorgen, dass wir genau herausfinden, was passiert ist", sagte Biden.
  • Die tödliche Explosion geht nach Angaben der belgischen Regierung vermutlich auf eine ukrainische Luftabwehrrakete zurück. Die belgische Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder erklärte am Mittwoch in Brüssel, nach Informationen der Nachrichtendienste Belgiens, die mit den Diensten der Nato-Partner in engem Kontakt stünden, seien die Einschläge "von ukrainischen Luftabwehrsystemen ausgelöst worden, die zur Abwehr russischer Raketen eingesetzt wurden".
  • Was für Geschosse abgefeuert wurden. Erste Fotos von Trümmerteilen an der Einschlagstelle deuteten für Experten auf eine Rakete des Flugabwehrsystems S-300 hin. Auch Biden soll von einer solchen Rakete gesprochen haben. Das System S-300 ist sowjetischer Bauart und heute wesentlicher Bestandteil der ukrainischen Flugabwehr gegen die russischen Angriffe.
Moskau-Reporter Rainer Munz zu Raketeneinschlag in Polen
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© RTL
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Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach seiner Erstveröffentlichung aktualisiert.

DPA
rw / Ansgar Haase / Christoph Sator