Ein Polit-Krimi erschüttert die Politik in Norwegen. Es geht um ein politisches Theaterstück und mutmaßlich inszenierte Angriffe auf den Justizminister des Landes, Tor Mikkel Wara. Im Fokus der Ermittlungen steht seine Mitbewohnerin und Lebensgefährtin. Was nach dem neuesten Kriminalroman aus Skandinavien klingt, ist derzeit das Thema Nummer Eins in Norwegens Politik.
Angefangen hat alles mit dem Theaterstück "Ways of seeing", das im "Black Box Theater" in der Hauptstadt Oslo aufgeführt wurde. Es zeigte in einer Videosequenz das Haus des Justizministers und weitere Personen, die im Zusammenhang mit der konservativen Regierungspartei "Høyre", der rechtspopulistischen Regierungspartei "Fortschrittspartei" und der NATO stehen. Wara ist Mitglied der "Fortschrittspartei", kurz Frp.
Lebensgefährtin kritisiert Theaterstück
Als Reaktion darauf hatte Laila Anita B., Mitbewohnerin von Wara und damit auch Bewohnerin des Hauses, sich öffentlich in den Medien über das Stück beschwert. Direkt an die Regisseurin gerichtet sagte sie: "Sie nennen es Kunst, ich nenne es eine grobe Invasion in mein Privatleben." Laila Anita B., eine Frau mittleren Alters mit kurzen, blonden Haaren, beschwerte sich darüber, dass sie von den Theatermenschen gefilmt worden sei. Sie, als eine Person, die nie das öffentliche Licht suchte.
Das war im Dezember letzten Jahres. Nur wenige Tage nach dem offenen Brief von Laila Anita B. folgte ein Angriff auf das Haus von ihr und ihrem Lebensgefährten, Justizminister Wara. Das Haus wurde beschmiert. Die Anschuldigung, dass Wara ein Rassist sei, stand in roten Buchstaben an der weißen Hauswand. Schnell schaltete sich der Inlandsgeheimdienst PST ein, dem Justizminister Wara übergeordnet ist.

Anschläge häufen sich
Wara äußerte sich einen Tag später zu dem Angriff. Es sei ein Angriff nicht nur auf ihn, sondern auf die Demokratie. Er wolle aber nicht sein Auftreten als Politiker in der Öffentlichkeit ändern, sagte er dem norwegischen Sender NRK. Dann wurde es erstmal ruhig um Wara und sein Zuhause. Bis zum Januar.
Runde zwei Wochen nach dem Jahreswechsel gab es einen Brandanschlag. Ein Mülleimer wurde vor dem Haus von Wara und Laila Anita B. angezündet. Größere Schäden gab es nicht. Einen Tag später zeigte Laila Anita B. das "Black Box Theater" an. Im Februar musste ein Spezialkommando anrücken. Es wurden brennbare Flüssigkeiten unter dem Auto des Justizministers gefunden. Im März musste das es erneut anrücken. Inzwischen wurde die Klage von Laila Anita B. angenommen.
Politik schaltet sich in Fall Wara ein
Nur wenige Tage später wurde Waras Auto angezündet. Der Brand wurde schnell gelöscht, es gab keine Verletzten. Norwegische Politiker stellten sich an die Seite des Justizministers. Es wurde von einem Angriff auf die offene Gesellschaft gesprochen. Trotz der vermehrten Angriffe wollte die Familie keine Videoüberwachung. Kameras seien schon überall, wurde Laila Anita B. zitiert.
Der PST gab dem Fall mittlerweile höchste Priorität. Wara nannte die Angriffe auf sich und seine Familie beängstigend. Dennoch wolle er sein Leben so weiterführen wie bisher. Auch die norwegische Premierministerin Erna Solberg schaltete sich ein. Sie kritisierte das Theaterstück, in dem das Haus des Justizministers gezeigt wurde. Der Inlandsgeheimdienst hatte noch keine Spur.
Laila Anita B. wird festgenommen und verhört
Dann die große Wendung: Laila Anita B. wird vom PST angeklagt, festgenommen und verhört. Sie wird verdächtigt, zumindest das Auto des Ministers angezündet und auch weitere Angriffe inszeniert zu haben. Die Polizei durchsuchte das Haus. Die Reaktionen überschlugen sich. Tor Mikkel Wara beurlaubte sich selbst als Minister. Erna Solberg gab eine Pressekonferenz. Die Festnahme sei ein Schock für die gesamte Regierung gewesen.
Weder Wara noch Laila Anita B. sprechen jetzt selbst. Über ihre Anwälte wird mitgeteilt, dass Wara nie einen Verdacht gegen seine Mitbewohnerin und Lebensgefährtin gehegt habe und dass B. ihre Unschuld beweisen wolle. Auch ihr Anwalt ist von ihrer Unschuld überzeugt. Doch der Verdacht erhärtet sich. Der PST hatte eine versteckte Kamera angebracht, die beweisen soll, dass Laila Anita B. den Wagen angezündet hat.

Ein einzigartiger Fall
Der Fall Wara erschüttert Norwegens politische Landschaft. Wusste der Justizminister wirklich nichts? Immerhin war er dem Inlandsgeheimdienst übergeordnet, die Behörde, die die Ermittlungen leitete. Hat seine Lebensgefährtin allein gehandelt oder ist er selbst in die Inszenierungen verwickelt? Fragen und Spekulationen verbreiten sich zu dem Fall.
Der norwegische Kommentator Harald Stanghelle ist sich jedenfalls sicher, dass ein Fall wie dieser in Norwegens Geschichte selten sei und sogar ein ganz spezieller werden könne: "Dieser Fall unterscheidet sich von anderen dadurch, dass die Drohungen die norwegische Öffentlichkeit über drei Monate geprägt haben. Politiker und die Bevölkerung hatten allen Grund zur Annahme, dass jemand den Justizminister und seine politischen Aktivitäten angreifen wollte, also auch die Demokratie", sagte Stanghelle dem Sender NRK. Wenn sich herausstelle, dass alles nur inszeniert sei, dann sei dies einmalig in Norwegens Geschichte.
Muss Wara seinen Posten räumen?
Stanghelle und andere politische Kommentatoren sind sich zwar einig, dass formell Wara nichts daran hindert, weiter seinen Posten auszuführen, dies aber dennoch schwierig werden könnte. Er sei immerhin die wichtigste Person im Justizsektor des Landes und der Fall habe eine besondere Brisanz.
Wie es weitergeht, ist noch abzuwarten. Anzeigen gegen das Theater und deren Künstler wurden inzwischen fallengelassen. Die große Frage ist aber: Bleibt Tor Mikkel Wara Minister oder stolpert er über eine Inszenierung? Fest steht nur: Selten hat ein solcher Fall Norwegens politische Landschaft so erschüttert wie dieser.
