»Le Monde«: Bush erinnert an Reagan
Die unabhängige französische Tageszeitung »Le Monde« (Paris) fühlt sich nach der ersten Rede des US-Präsidenten Bush vor dem Kongress an seinen Vorgänger Ronald Reagan erinnert und schreibt am Donnerstag: »Bush hat Steuersenkungen von 1,6 Billionen Dollar angekündigt. Ihm geht es nicht um das Budget, sondern rein um Politik. Die Steuersenkungen sind ein rituelles Opfer, gemäß eines alten Partei-Dogmas der Republikaner. Dabei ist es ganz egal, wie die Realität aussieht. Unglücklicherweise sind die Folgen nicht auf die USA beschränkt - und sie sind möglicherweise verheerend. Um das von Steuersenkungen verursachte Defizit auszugleichen, werden die USA auf ausländisches Kapital angewiesen sein. Das Wachstum ist in Gefahr. Das erinnert an die Jahre der Regierung Reagan. Die Demokraten haben zu Recht angekündigt, dass sie Bush auf diesem abenteuerlichen Weg nicht folgen werden.«
»Neue Zürcher Zeitung«: Probleme mit dem Timing
Die »Neue Zürcher Zeitung« schreibt am Donnerstag zur ersten Rede von US-Präsident Bush vor dem Kongress: »Hauptschwäche von Bushs Politik ist wohl das Timing. Er verlangt vom Kongress, die Steuererleichterungen jetzt zu bewilligen, während die Rechnung auf der Ausgabenseite noch längere Zeit nicht gemacht werden kann. Stimmen, die zu politischer Vorsicht mahnen und vor einem risikoreichen Glücksspiel warnen, erhalten dadurch mehr Gewicht. Was aus dieser Politik schließlich wird und wie das alles in der Wählerschaft ankommt, ist schwierig zu beurteilen. Bush hatte aber keinen schlechten Start... . Zum Teil verdankt er dies der Faszination, die Clintons Skandale immer noch auslösen und die auch die Demokraten in ihrer Opposition gegen Bush schwächen. Zu einem andern Teil tragen aber auch die Anstrengungen des Präsidenten Früchte, im Umgang mit dem politischen Gegner einen Stil und einen Tonfall zu pflegen, die bewusst Kontraste zu den bitteren Auseinandersetzungen der jüngsten Vergangenheit setzen. In erstaunlich kurzer Zeit ist es Bush gelungen, den Ruch der Illegitimität los zu werden, der nach dem turbulenten Verfahren in Florida seinem hauchdünnen Wahlsieg zu Recht oder zu Unrecht anhaftete. Der Honeymoon hat doch noch stattgefunden.«
»Der Standard«: Bush riskiert politisches Fiasko
Der US-Präsident George W. Bush verspiele den Schatz, den ihm sein Vorgänger Bill Clinton überlassen habe, meint die liberale österreichische Zeitung »Der Standard« am Donnerstag: »Der Präsident zieht mit seinen Budgetplänen freilich einen Wechsel auf sein künftiges Glück. Er sollte sich die fiskalpolitische Leistung seines Vorgängers genau ansehen. Immerhin hat Clinton von Bush Senior ein Rekorddefizit von 290 Milliarden Dollar übernommen, acht Jahre später steht die Staatskasse mit knapp 80 Milliarden im Plus... . Es geht um die Kernfrage, wie viel Staat sich Amerika künftig leisten will. «Weniger», sagt der Präsident und läutet die konservative Wende weg von den Clinton-Jahren ein. Zum Ausdruck kommt diese auch im Design der angekündigten Steuerreform. Entgegen allen präsidentiellen Beteuerungen hat sie eine ausgeprägte Schieflage - zu Gunsten der Reichen, zu Lasten der ärmeren Schichten, deutlich abzulesen an der Streichung der Erbschaftssteuer. Dagegen protestierten sogar die Superreichen... . Bush zeigt sich davon wenig beeindruckt. Indem er aber in Reagans Fußstapfen tritt, riskiert er ein ähnliches politisches Fiasko: die Rückkehr zu Defiziten im Budget, in der Infrastruktur, im sozialen Gefüge. Aber auch Hans im Glück tauschte den ihm übergebenen Goldschatz zuletzt gegen nichts - und war glücklich.«
»Nowyje Iswestija«: Gorbatschows historischer Verdienst
Zum 70. Geburtstag des früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow am Freitag schreibt die Moskauer Tageszeitung »Nowyje Iswestija« am Donnerstag: »Das Unglück der sowjetischen Geschichte ist, dass ein lebensunfähiges System in unserem Land überlang geherrscht hat, dass ein künstlich geschaffener Gesellschaftsorganismus so lange gelebt hat... . Diejenigen, die von diesen Absonderlichkeiten profitierten, verwandten viel Arbeit darauf, an Stelle des Wissens den Glauben zu setzen - den bedingungslosen Glauben an die Überlegenheit des Sozialismus. Wir haben diesen Glauben gemeinsam mit Gorbatschow überwunden - und das ist sein Verdienst vor der Geschichte. Man sollte ihn auch danach beurteilen, wie er den Zerfall dessen abmilderte, was keinen Bestand haben konnte.«