Scheidungsdrama "Was gibt ihm das Recht, einfach wegzulaufen?"

Das Leben beider Frauen verlief in ähnlichen Bahnen - bis zum 11. September 2001, als Susans Mann von der Arbeit nach Hause kam und Debbies Mann nicht. Eine der beiden Frauen erholte sich von diesem Tag nicht wieder.

Es war am 10. September 2002, am Vorabend des Jahrestages, in der letzten Nacht des schlimmsten Jahres in ihrem Leben. An diesem Tag kam Susan Zazulkas Mann John nach Hause und sagte, ihre 19-jährige Ehe sei zu Ende. Der New Yorker Feuerwehrmann glaubt, es sei ein paar Wochen früher gewesen oder auch später, er weiß es nicht mehr genau. Aber selbst wenn Susan Recht haben sollte – das Datum hält er für reinen Zufall.

"Ich bin einfach unglücklich", sagte er zu seiner Frau. Doch das war nicht der einzige Grund für die Trennung. Einige Monate zuvor hatte John eine andere kennen gelernt, Deborah Amato. Eine Frau, die viele Ähnlichkeiten mit Susan hat. Auch sie ist Anfang 40, attraktiv, schlank, Hausfrau und Mutter von vier Kindern, die ihren Beruf aufgab, als sie einen Feuerwehrmann heiratete. Das Leben beider Frauen verlief in ähnlichen Bahnen – bis zum 11. September 2001, als Susans Mann von der Arbeit nach Hause kam und Debbies Mann nicht. Eine der beiden Frauen erholte sich von diesem Tag nicht wieder – die, deren Mann davongekommen war.

Witwen zu Millionärinnen

Noch heute, drei Jahre später, versuchen die Familien der Feuerwehrleute, mit dem Schmerz und den Veränderungen fertig zu werden, die jedem Tod folgen, die aber besonders heftig sind, wenn sie einen Berufsstand gleich hundertfach treffen. Susan Zazulka ist nicht die einzige Frau eines Feuerwehrmanns, die für eine so genannte Nine-Eleven-Witwe verlassen wurde. Zehn oder elf ähnliche Geschichten gibt es nach Angaben der New Yorker Feuerwehr. Es ist schwer zu entschlüsseln, wie die Trauer das Leben der Familien veränderte und welche Rolle das Neue spielte, das sie erlebten: die Welle von Beerdigungen und Gedenkveranstaltungen, all die Versetzungen, um leer gewordene Stellen zu füllen, und nicht zuletzt der plötzliche Geldsegen aus den Entschädigungsfonds, der viele Witwen zu Millionärinnen machte.

Susan Zazulka wohnt noch in dem Haus, das ihr Mann vor 15 Jahren auf Staten Island gebaut hat. Ein solides, beigefarbenes Backsteinhaus mit geschliffenem Glasfenster in der Eingangstür. "John mochte schöne Dinge", sinniert Susan am Küchentisch und schaut benommen auf, als ihre Kinder in die Küche stürmen, jedes voller Pläne, Fragen und Wünsche. Zwei Töchter machen sich für die Tanzstunde fertig, der 16-jährige Johnny will zu Burger King gebracht werden. Susan ist das alles zu viel. Sie starrt auf einen Brief von der Bank, die ihr mitteilt, dass sie mit vier Raten für das Haus im Rückstand ist. Seit John weg ist, ist das Geld knapp und ein ständiger Grund für Streit vor Gericht. Manchmal, sagt Susan, könne sie kaum die Lebensmittel bezahlen.

Für Susan ist die Geschichte ihrer Scheidung eine Geschichte über Nine-Eleven. Die unbezahlten Rechnungen auf dem Esszimmertisch liegen gleich neben einer Art Altar mit Bildern von toten Freunden der Familie, einem Foto des World Trade Center und amerikanischen Fähnchen in einer Vase mit Blumen. Ihr persönliches Unglück, glaubt sie, ist Teil der größeren nationalen Tragödie. Monatelang arbeitete ihr Mann an jenem Ort, den die Feuerwehrleute "die Grube" nannten. Jeden Tag suchte er auf "Ground Zero" nach Körperteilen von Männern, mit denen er Jahrzehnte zusammengearbeitet hatte. "Natürlich war er unglücklich, bei allem, was er durchgemacht hatte."

Susan zuzuhören, wenn sie über ihren Mann spricht, ist, als zappte man durch die Stationen eines Radios: Blitzschnell wechselt sie Stimmung und Tonfall, klingt mal wehmütig, mal verwirrt, mal gehässig. In einem Moment sagt sie, sie allein kenne Johns weiche Seiten, im nächsten doziert sie über seine Verantwortung als Herr des Hauses. "Er ist doch der Mann. Was gibt ihm das Recht, zusammenzubrechen und wegzulaufen?"

"John hasst das Leben"

Susan fühlt sich als Opfer, das Trost und Verständnis verdient. Doch ganz gleich, wie viel Mitgefühl sie bekäme – verglichen mit den Unterstützungen und Entschädigungen der Witwen wäre es ein Hungerlohn. Der Opfer-Fonds zahlte jeder "Feuerwehr-Witwe" zwischen 800000 und 1,5 Millionen Dollar, hinzu kamen großzügige private Spenden. Susan missgönnt den Frauen ihr Geld nicht, aber sie bezweifelt die Motive ihres Mannes, mit einer von denen anzubändeln. Debbie Amato hat ihre amtliche Entschädigung noch nicht bekommen, ist aber auch so schon um knapp eine Million Dollar reicher. "John hasst das Leben", sagt Susan bitter. "Er macht nur wegen des Geldes weiter, er will Geld und seinen Spaß."

Weil der Terror vom 11. September auch ihr den Mann genommen hat, identifiziert sich Susan mit den Witwen. Sie hat sich sogar beim Roten Kreuz als "Fall" registrieren lassen. Manchmal glaubt sie, John habe seine Familie berauben wollen, nachdem er all die Geschichten über diese unvergleichlichen Väter gehört hatte, die Kinder mit gebrochenen Herzen zurückließen. "Vielleicht ist er auch deshalb fortgegangen", sagt sie. "Vielleicht wollte auch er vermisst werden. Oder er glaubte, dass er das Glück seiner Familie nicht verdient."

Fehlentscheidungen der Behörde, sagt Rudy Sanfilippo, Vertrauensmann der Feuerwehrgewerkschaft in Manhattan, seien an Geschichten wie der von Susan und John nicht unbeteiligt. An Sanfilippo wenden sich Feuerwehrleute mit beruflichen Problemen. Nach dem Tod von 343 Feuerwehrleuten auf Ground Zero hat man die Aufgabe, die sich sonst alle Kollegen teilen – sich um die Witwe zu kümmern und ihr bei den Formalitäten zu helfen –, einzelnen Männern übertragen. Die wurden jedoch kaum damit fertig. Die Beziehungen zwischen Betreuern und Witwen gefährdeten Ehen, in denen es schon vorher gekriselt hatte. Oder Witwen verliebten sich in ihre Helfer, und Sanfilippo bekam panische Anrufe von glücklich verheirateten Männern, die nicht wussten, wie sie sich taktvoll aus der Affäre ziehen sollten.

Die Feuerwehr führt nicht Buch über die Scheidungen ihrer Mitarbeiter. Aber die Zahl der Ratsuchenden hat sich seit den Anschlägen verdreifacht. "Anfangs brachten die Ehefrauen viel Toleranz auf", sagt Malachy Corrigan, Chef des Betreuungsteams. In den ersten Tagen machten die meisten Feuerwehrleute Überstunden in der Grube und schliefen dann in den Wachen: "Damals war es okay, wenn sie nicht heimkamen. Doch irgendwann fragten die Frauen: Wann hast du endlich wieder Zeit für mich und die Kinder?"

Sanfilippo drückt es drastischer aus: "Ich kenne nicht eine Familie, die keine Probleme hat. Und jede Ehefrau, die mich anrief, erzählte mir, sie fühle sich wie eine Witwe." Mit rauer Stimme fährt Sanfilippo fort: "Du schuftest und schuftest, und das Beste, was dabei herauskommen kann, ist, dass du abends eine Witwe anrufen und ihr sagen musst: Ich habe heute eine Fingerkuppe Ihres Mannes gefunden. Wir gaben unser Bestes, aber es war nie genug."

"Das scheint niemals aufzuhören"

Sanfilippo erinnert sich an einen Abend vor etwa 18 Monaten, als er endlich einmal wieder mit seinen erwachsenen Kindern beim Essen saß. "Eines der Kinder sagte zu mir...", beginnt Sanfilippo und kann nicht weiter sprechen. Die Erinnerung überwältigt ihn, am 11. September war er in einem Umkreis von 15 Metern der einzige überlebende Feuerwehrmann. "Das ist wirklich ätzend", setzt er wieder an, "das scheint niemals aufzuhören." Sanfilippo atmet tief durch. "Meine Kinder sagten damals zu mir: Willkommen zu Hause, Dad."

Nicht allein Ground Zero hielt die Feuerwehrleute nach dem 11. September von ihren Familien fern. Sie mussten auch mehrmals pro Woche nach der Arbeit zu Trauerfeiern und besuchten die Witwen. Debbie Amato und John Zazulka waren auf so vielen Beerdigungen, dass es ihnen schwer fällt, sich zu erinnern, auf welcher sie sich schließlich kennen lernten. "Ich hatte ein ganzes Fach in meinem Schrank nur für Trauerkleider", sagt Debbie Amato.

Als sie John traf, habe sie sich bereit gefühlt für eine neue Beziehung. Ihre Ehe mit James, einem Hauptmann von Brooklyns Elitetruppe Nr. 1, war sehr glücklich gewesen, mehrere Monate hatte sie getrauert: "Ich stand völlig neben mir. Meine Tochter Kat kümmerte sich um die Kleine, und ich merkte es noch nicht mal." Aber eines Tages im Frühjahr machte es klick, und sie konnte sich wieder dem Leben zuwenden.

Es gibt nicht viele Fotos in Debbies Haus, im Gegensatz zu Susan hat sie keinen Nine-Eleven-Altar. "Ob ich nachts manchmal an Jim denke?", fragt sie. "Natürlich denke ich an ihn. Erzähle ich John davon? Nein, weshalb soll er sich das anhören?" John und Debbie kamen zum ersten Mal auf einer Gedenkfeier im Frühjahr 2002 ins Gespräch. Ein paar Wochen später trafen sie sich beim Abendessen einer Witwe in Brooklyn wieder. Als anschließend alle in eine Bar zogen, nahm John Debbie im Wagen mit. "Wir saßen im Auto und redeten über eine Stunde lang", erzählt Debbie. Gut einen Monat später begegneten sie sich auf dem Begräbnis eines anderen Freundes wieder. Von da an sahen sie sich regelmäßig. Am Ende des Sommers beschloss John, sich scheiden zu lassen. Eineinhalb Jahre nach seiner Ehe gab er auch seine Arbeit bei der Feuerwehr auf.

Debbie und John gehen liebevoll miteinander um: Sätze beenden sie mit Kosewörtern, stets liegt der Arm des einen um die Hüfte des anderen. All dies sei neu für ihn, sagt John. Seine Ehe sei lieblos gewesen. Er weiß, dass die Leute sagen, Feuerwehrleute, die Witwen heiraten, hätten eine Art Helfersyndrom. Sie würden ihre Frau verlassen, um eine andere zu retten. "Es ist genau anders herum", sagt John. "Sie hat mich gerettet." Der 11. September habe ihn nur wachgerüttelt.

Unangenehme Fragen

Einen New Yorker Feuerwehrmann zu fragen, wo er am 11. September war, ist unangenehm. Bei John ist die Antwort einfach: Er war in seiner Wache auf Staten Island, sein Vorgesetzter hatte ihm den Befehl gegeben, die Stellung zu halten. John rief ihn immer wieder an, um zu fragen, ob er mit seiner Einheit zum World Trade Center fahren könne. Ende August 2001 hatte ein Freund gefragt, ob John nicht zur "Rettung 5" wechseln wolle, einer Elitetruppe, die zu den gefährlichsten Einsätzen geschickt wird. Lange hatte John für ein ähnliches Team gearbeitet, aber jetzt wollte er seine Mannschaft nicht im Stich zu lassen. "Ein paar Tage später rief der Freund wieder an. Wieder sagte ich ihm ab. Stattdessen empfahl ich ihm einen anderen." Der Mann kam am 11. September ums Leben.

Außer diesen Erinnerungen muss John jetzt auch noch die Folgen seiner Scheidung verkraften. Susan habe ihn den Kindern entfremdet, glaubt er. Jeden Tag ruft er an, erreicht sie aber nur selten. Zweimal in der Woche fährt er zu seinem früheren Haus, pünktlich wie ein Uhrwerk. Doch entweder seien die Kinder nicht da, oder sie wollten ihn nicht sehen. "Das tut weh. Beim letzten Mal versteckte sich Corey, meine Jüngste, im Wandschrank. Was hat Susan bloß mit den Kindern gemacht?"

Susan sagt, dass sie sich nichts mehr für ihre Kinder wünsche als ein gutes Verhältnis zum Vater. Sie kämen eben mit Debbie nicht klar und machten John für die Geldsorgen der Familie verantwortlich. Will John sein Verhältnis zu den Kindern verbessern, muss er sich anstrengen: Er war es, der die Ehe beendete, und er hatte nie eine sonderlich enge Beziehung zu den Kindern. "Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe", sagt John. "Ich schätze, ich habe zu viel gebrüllt. Und ich war selten für sie da." Das möchte John jetzt bei Debbie und ihren drei Töchtern ändern. Seit Nine-Eleven wollen viele Männer bessere Väter sein. Trifft Debbie sich mit Freunden, bleibt John manchmal zu Hause und macht Hamburger für die Mädchen.

"Du bist ein Psychopath!"

Früher stand er seiner 19-jährigen Tochter Kristin am nächsten. Ihr Vater "widere sie an", sagt die College-Studentin heute. "Sobald etwas nicht so läuft, wie er will, dreht er durch. So war er früher nicht." Ein Streit um ein Auto führte zum endgültigen Bruch zwischen den beiden. Auf Beschluss des Gerichts musste John Kristin für eine Weile sein Auto überlassen. Als sie drei Tage später in die Auffahrt bog, stürmte er aus dem Haus. Es habe ihn aufgeregt, am Schleifen der Bremsen zu hören, dass sie den Wagen bereits ruiniert habe, schildert John den Moment. Von da an liefern beide unterschiedliche Versionen darüber, was passiert ist. John habe sie aus dem Wagen gezerrt, mit dem Kopf gegen die Scheibe gestoßen und ihr Handy und CDs nachgeworfen, erzählt Kristin. John will nur die CDs und das Telefon in die Garage geschleudert haben. "Du bist ein Psychopath!", schrie Kristin, während ihr jüngerer Bruder die Polizei anrief.

Vor kurzem hatte Kristin eine von Debbies Töchtern am Telefon. Die beiden fingen an zu reden, erst wütend, dann ruhiger. Für Kristin war es seltsam, von einer fremden jungen Frau zu hören, ihr Vater sei "ein sehr liebevoller Mann". Sie sei auch nicht glücklich, sagte das Mädchen, Kristin solle froh sein, dass ihr Vater am Leben sei. "Ich nehme jederzeit gern deinen Vater", antwortete Kristin, "immerhin war er ein guter Vater, solange er lebte."

Susan Dominus/"The New York Times Magazine"
Übersetzung: Julica Junge-Hülsing