Spektakuläres US-Urteil Guantanàmo-Häftlinge dürfen vor Zivilgerichte

Schwere Ohrfeige für die US-Regierung: Das Oberste Gericht des Landes erlaubt den Guantànamo-Häftlingen gegen ihre Gefangenschaft vor amerikanischen Zivilgerichten zu klagen. Das wurde den Terrorverdächtigen bisher verweigert: Für sie sollten nur Militärgerichte zuständig sein.

"Boumediene versus Bush, No. 06-1195" hieß der Fall in den Akten des Obersten Gerichtshofes der USA. Als am Donnerstag das spektakuläre Urteil verkündet wurde, war der Kläger weit entfernt. Lakhdar Boumediene befindet sich seit 2002 schwer bewacht hinter den hohen Maschendrahtzäunen von Guantànamo Bay. Dem als "ungesetzlichen feindlichen Kämpfer" eingestuften gebürtigen Algerier und hunderten Mithäftlingen haben die US-Regierung und der Kongress beharrlich das Recht abgesprochen, die Gefangenschaft vor einem US-Bundesgericht anzufechten. Damit lebte Boumediene in einem rechtlichen Niemandsland, nie angeklagt oder verurteilt, dennoch ein unfreier Mann - ein Zustand, der Guantànamo Bay auch in den Augen vieler Verbündeter zu einem Schandfleck für die USA gemacht hat.

Auch Guantànamo-Häftlinge haben Rechte

Nun hat das höchste Gericht der Nation ein Machtwort gesprochen, entschieden, dass die Behandlung von Boumediene und den anderen als mutmaßliche Terroristen festgehaltenen Ausländern gegen die Verfassung verstößt - ein schwerer Schlag für die US-Regierung, die sich nun auf eine Welle von gerichtlichen Vorstößen der Häftlinge gegen ihre Gefangenschaft einstellen muss. Und nunmehr ist auch fraglich, ob vorgesehene Prozesse vor Sondergerichten in dem Lager planmäßig stattfinden werden, darunter auch die bereits für September angesetzten Verfahren gegen fünf mutmaßliche Hauptverantwortliche der Anschläge vom 11. September.

Nicht umsonst hatte die Bürgerrechtsorganisation ACLU bereits im Vorfeld der Entscheidung von einem Rechtsfall mit enormer Reichweite gesprochen, eine ungewöhnliche Flut von Eingaben außenstehender Parteien auch aus dem Ausland beim Supreme Court die Bedeutung unterstrichen. 30 solcher Stellungnahmen waren es insgesamt, 26 davon zugunsten der Gefangenen - auch ein Zeichen dafür, wie isoliert die USA international mit der Schaffung des rechtlichen Vakuums für die Guantànamo-Häftlinge geworden sind.

Argumentation der US-Regierung greift nicht

Im Mittelpunkt des Rechtsfalls stand "Habeas Corpus" ("Du mögest einen Körper haben"), ein aus dem Mittelalter stammendes Grundrecht, dem zufolge im Kern ein Mensch nur per Gerichtsurteil dauerhaft seiner Freiheit beraubt werden darf. Dieses Prinzip, das die Befugnisse der Exekutive und Legislative klar begrenzt, ist auch in der US-Verfassung enthalten. Danach darf diese Recht nur dann genommen werden, "wenn es in Fällen einer Rebellion oder Invasion die öffentliche Sicherheit" erfordert.

Die US-Regierung argumentierte stets, dass die überwiegend in Afghanistan festgenommenen Guantànamo-Häftlinge zum einen Ausländer seien und sich außerdem nicht auf US-Boden in Gewahrsam befänden. "Habeas Corpus" treffe somit nicht auf sie zu. Verwiesen wurde zudem darauf, dass der Status jedes Gefangenen einmal im Jahr durch Militärtribunale geprüft werde - ein Verfahren allerdings, das auch in weiten Teilen des Auslands als Farce angesehen wird. So werden die Gefangenen von keinem Anwalt vertreten und erhalten nicht einmal Einblick in die angeblich gegen sie vorliegenden Beweise.

"Ein Krieg ist kein Blankoscheck

Diese Praxis hat der Oberste Gerichtshof am Donnerstag ebenfalls beanstandet - zur Erleichterung von Bürgerrechtsgruppen, die die Verweigerung von "Habeas Corpus" als einen der schlimmstmöglichen rechtlichen Sittenverfälle angeprangert haben. Auch Jonathan Hafetz vom Brennan-Zentrum für Justiz kann die Bedeutung der Entscheidung vom Donnerstag nicht genug betonen. Es gehe um mehr als um die Zukunft der Guantànamo-Insassen, sagte er schon im Vorfeld der Urteilsverkündung. "Im Mittelpunkt steht generell die Frage, ob die USA einfach rechtlose Enklaven schaffen können. Sogar ein Krieg ist kein Blankoscheck."

US-Präsident George Bush die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verurteilt. "Ich bin mit dieser Entscheidung nicht einverstanden", sagte Bush nach einem Treffen mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi in Rom. Seine Regierung werde bis zuletzt alles tun, um die Sicherheit des amerikanischen Volkes zu gewährleisten, betonte der US-Präsident.

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Gabriele Chwallek/DPA