Es war ein milder Montagnachmittag, als sich Hunderttausende von Zuschauern an den Straßenrändern versammelten, um die mehr als 23.000 Läufer beim weltberühmten Boston-Marathon anzufeuern. Die Stimmung war ausgelassen, bunte Flaggen aus allen Ländern säumten den Weg auf den letzten Metern. Auch Carlos Arredondo befand sich in der fröhlichen Menschenmenge, er wartete in der Nähe der Ziellinie auf einen Bekannten, der am Marathon teilnahm. Der 52-Jährige sah, wie 17.000 Läufer nach 42,195 Kilometern das Ziel erreichten, 6000 Teilnehmer waren noch unterwegs. Und er sah, wie die beiden Bomben explodierten und das heitere Sportereignis in einen Albtraum verwandelten. Mindestens drei Menschen starben, darunter ein achtjähriger Junge, weit mehr als 100 wurden verletzt.
Die Rennuhr zeigt 4:09:43, als plötzlich eine, dann eine zweite Detonation die fröhlichen Anfeuerungsrufe an der Zielline übertönt. Läufer brechen zusammen, Blut klebt auf der Straße, die Menschen rennen schreiend durcheinander. Die Polizei riegelt die Straße ab, seinen Freund bekommt Arredondo nicht mehr zu sehen. Doch statt sich in Sicherheit zu bringen, beschließt er zu helfen. Er klettert über die Absperrung, befreit Verletzte aus Trümmern und räumt den Weg für eintreffende Rettungskräfte frei. Nun wird Carlos Arredondo weltweit als Held von Boston gefeiert.
Der tragische Retter von Boston
Die beklemmenden Bilder aus Boston gingen wie ein Lauffeuer um die Welt. Eines der ersten Fotos zeigt einen verletzten jungen Mann in einem grauen Pullover, der in einem Rollstuhl von der Strecke geschoben wird. Er blutet stark und hat bei der Bombenexplosion beide Beine verloren. Von einer Rettungskraft wird er zum Krankenwagen gebracht, an seiner Seite wacht Carlos Arredondo, der die Abschnürbinde des rechten Oberschenkels fest umklammert in seiner Hand hält. "Ich habe ihm gesagt, mein Name ist Carlos", sagte Arredondo dem "Daily Beast". "Alles wird wieder gut, Hilfe ist auf dem Weg." Die Szenerie sei grauenvoll gewesen, erzählte er der Zeitung. Überall sei Blut gewesen, mehrere Rippen der Opfer lagen verstreut auf der Straße.
Auch auf anderen Fotos und Videos taucht der Retter in Jeans, grauem Pulli und mit hellem Cowboyhut auf. Das Netz fragte sich: Wer ist der selbstlose Fremde, der sein eigenes Leben riskiert, um andere zu retten? Schnell stießen Medien auf Carlos Arredondo, einen 52-jährigen Friedensaktivisten aus den Vereinigten Staaten - und auf dessen tragische Geschichte. Es war im Jahr 2004 als Arredondo, ein Einwanderer aus Costa Rica, vom Tod seines Sohnes Alexander erfuhr, eines im Irak stationierten US-Marine. "Ich habe nur geschrien", sagte Arredondo der "New York Times". "Ich sagte: 'Nein, nein! Es darf nicht mein Sohn sein.'"
Schockiert vom Tod seines Sohnes, rannte Arredondo in seine Garage, nahm einen Benzinkanister und eine Propanfackel und setzte sich in einen Van. Polizeibeamte versuchten, den Vater zu beruhigen, stattdessen übergoss er sich mit Benzin und zündete die Fackel an. Es gab eine Explosion, die Polizisten zerrten ihn aus dem brennenden Auto. Arredondo erlitt Verbrennungen zweiten und dritten Grades an 20 Prozent seines Körpers. "Ich wurde zur Beerdigung meines Sohnes auf einer Krankenbahre getragen", sagte er später der "New York Times". Zehn Monate verbrachte er im Krankenhaus, dann beschloss er, ein Leben als Friedensaktivist zu führen.
Doch als wäre es nicht Leid genug, erlebte Arredondo den nächsten Schicksalsschlag: Sein zweiter Sohn, Brian, hat den Tod seines Bruders nie verkraftet. Er wurde depressiv und drogenabhängig - im Dezember 2011 beging der 24-Jährige Selbstmord. Seitdem hat der Vater es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für das Wohl seiner Mitmenschen zu sorgen. Unter anderem leistet er Freiwilligendienst beim Roten Kreuz.
Anerkennung im Netz
Auf Twitter wird Carlos Arredondo als Held gefeiert. Am Dienstagabend twitterte ein User: "Carlos Arredondo ist der Held, den wir alle brauchen." Ein anderer schreibt: "Carlos Arredondo, er sprang in die Menge und begann, Menschen zu retten. Ein echter Held & Friedensaktivist."
Auf der Social-News-Plattform "Reddit" meldete sich ein angeblicher Freund des jungen Mannes, den Arredondo im Rollstuhl zum Krankenwagen begleitete. Demnach wurde Jeff, so der Name des Opfers, gegen 23.20 Uhr in der Notfallambulanz des Boston Medical Center behandelt. Ein anderer Nutzer ist beeindruckt von der Selbstlosigkeit des Helfers mit dem Cowboyhut und schreibt: "Carlos Arredondo soll in dieser Stadt nie wieder für einen Drink bezahlen müssen."
Der Autor Christoph Fröhlich auf Google+