In sechs Wochen wählen die Amerikaner ihren neuen Präsidenten. Ob es am Wahlabend des 3. November allerdings ein belastbares Ergebnis geben wird, ist unklar. Denn wegen der Corona-Pandemie stimmen Abermillionen von Wählern per Brief ab, weswegen die Auszählung dauern kann. Tage, vielleicht sogar Wochen. Und selbst wenn das Ergebnis feststeht, muss es noch lange nicht von allen akzeptiert werden. Ziemlich sicher wird die eine oder andere Seite einen Grund finden, die Abstimmung anzufechten oder zumindest Teile davon. Ausgang offen.
Am Ende der wohl außergewöhnlichsten US-Präsidentschaftswahl seit sehr langer Zeit könnte ein alter Mann mit Hilfe formaler oder juristischer Kniffe ins Weiße Haus einziehen oder dort bleiben; auch wenn ihn die Mehrheit nicht haben will. Wie im Jahr 2000, als George W. Bush nach einem Urteil des Obersten Gerichts US-Präsident wurde. Oder 16 Jahre später Donald Trump, weil der die drei "richtigen" Bundesstaaten gewonnen hat. Neu wäre das alles also nicht, aber nervig. Vor allem für die Amerikaner, aber auch den Rest der Welt.
Donald Trump bleibt der größte Nervfaktor
Der größte Nervfaktor dieser Wahl ist und bleibt Amtsinhaber Donald Trump. Ganz gleich, ob man seine Politik gutheißt oder nicht, dreht sich ständig alles und allein um den Mann im Weißen Haus. Dass sich Donald Trump nur für Donald Trump interessiert – geschenkt. Doch auch die Opposition kennt kein anderes Thema und der weidet sich an ihrem Hass. Genau wie seine Anhänger, für die "Liberale ärgern" längst mehr ist als ein provokantes Spielchen. Und die Demokraten springen wie gewünscht über jedes politisch unkorrekte Stöckchen, das ihnen der Rechtpopulist und seine willigen Hilfstruppen hinhalten.
Auch (wir) Medien reagieren beissreflexartig auf die Eskapaden des US-Präsidenten. Trump sagt dies, Trump tut das, Trump schließt jenes nicht mehr aus – im Tagestakt bläst der US-Präsident neue Ungeheuerlichkeiten heraus. Leider bekleidet er ein zu wichtiges Amt, um seine Worte zu ignorieren. Dabei wäre das die größte "Strafe" für ihn: Nichtbeachtung. Doch das ist in seinem Leben nicht vorgesehen. Meisterhaft versteht er es, sich in den Mittelpunkt zu drängeln und Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Art hat einen mitunter angenehmen Nebeneffekt: Sie lenkt ab. Von der Empörung des Vortags genauso wie vom Umgang mit der Corona-Pandemie.
Ein Wahlkampf voller Nichtthemen
Daran schließt sich der nächste Nervfaktor an: der Nichtthemen-Wahlkampf. Wer in den vergangenen Jahren in den USA war, weiß, dass die einst stolze Nation in vielen Ecken wie ein Dritt-Welt-Land wirkt: mit maroder Infrastruktur, verwahrlosten Städten und zum Himmel schreiender Armut. Wer die Amerikaner fragt, was ihnen wichtig ist, bekommt abseits vom Kampf gegen Corona, zu hören: Konjunktur, Justizreformen, Gesundheitspolitik. Was aber bieten beide Parteien? Sie stehen sich wie Duellanten gegenüber, die mit grobem Schrot aus Moral, Diffamierung und Panikmacherei aufeinander schießen. Ein paar harmlose Treffer hier und da, doch der Großteil der Munition verpufft und in der Sache selbst sind die Wähler so schlau wie zuvor.
Bei den so genannten Zwischenwahlen vor zwei Jahren konnten die Demokraten den Republikanern eine Reihe von Parlamentssitzen abtrotzen und das auch deshalb, weil sie nicht wie wild auf den verhassten Präsidenten eingeprügelt haben, sondern konkrete Vorschläge für konkreten Problemen parat hatten. Fazit aus dem damaligen Wahlkampf: Sachpolitik schlägt Sachbeschädiger. Inhaltlich hat der eher unauffällig vor sich hin wahlkämpfende Joe Biden bislang kaum eine Chance, sich zu profilieren. Stattdessen muss er mit ansehen, wie seine Kollegen verzweifelt versuchen, im Trumpschen Gewusel aus Nebelkerzen, Gebrüll und Gestampfe mitzuhalten. Doch als Popanz ist der Präsident einfach besser. Und als Beleidigung für Wählerwille und halbwegs kluge Debatten auch.