In Berlin gibt es derzeit zwei Menschen, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, dass es sie in mehreren Ausgaben gibt - sie sind einfach immer und überall gleichzeitig. Der erste dieser Überall-Menschen heißt Karl Lauterbach, ist eigentlich Professor, jetzt aber SPD-Abgeordneter und mit Fliege um den Hals toujours im Einsatz für die Gesundheitsreform und gegen Bert Rürup.
Der zweite Klon, der weibliche, heißt im Prototyp Ursula von der Leyen und ist Familienministerin. Sie ist Merkels Missionarin in Sachen Kinder, noch umtriebiger, noch präsenter als Lauterbach in Sachen Gesundheit, wirkungsmächtiger ohnehin. Fleißig krempelt die viel gescholtene CDU-Politikerin derzeit das deutsche Familienleben um. Schritt für Schritt. Unbeirrbar.
Zeltstraße, Popcorn und Grillwürste
In den vergangenen Wochen und Monaten war von der Leyens Mission eher eine abstrakte Angelegenheit. Es ging um das Elterngeld, um den "Erziehungsgipfel", um Vätermonate und um Gesetze. An diesem Montag ist es anders. Die Mission ist bunt, kunterbunt. Auf der Straße zwischen Berliner Dom und Lustgarten haben sie eine "Zeltstraße" aufgebaut, auf Initiative der "Lokalen Bündnisse für Familie" hin - und des Familienministeriums natürlich.
Die Sonne scheint, es gibt eine Hüpfburg, in der Luft hängt der Geruch von Popcorn und Grillwürsten. Zwei bunt verkleidete Stelzenmänner verteilen Bleistifte, auf einer Bühne steht Moderator Cherno Jobatey und stellt kleinen Mädchen und großen Männern Quiz-Fragen. Der Mini-Rummel soll eine Art Volksfest sein: Deutschland feiert den ersten deutschen Familientag, Motto: "Jetzt ist Familie drin" - sogar Horst Köhler will später noch vorbeischauen, heißt es. Höchstpersönlich.
Nicht Bürger, sondern Menschen mit Namensschildchen
Nein. Ein echtes Volksfest ist es freilich nicht, was hier gefeiert wird, eher ein Experten-Markt. Die Menschen, die sich hier auf der Straße tummeln, sind kaum normale Bürger. Es sind Menschen mit Namenskärtchen - aus Hagen, aus Hamburg, aus dem oberpfälzischen Weiden, aus ganz Deutschland - Menschen, die in irgendeiner Form der einheimischen Familie etwas Gutes tun. Als Kindergärtner, als Lehrer, als Bürgermeister, als Unternehmer. Sie alle dürfen an diesem Tag zeigen, was sie leisten, dürfen Visitenkarten austauschen, dürfen sich ein wenig feiern.
Der Familientag ist eine Mutmach-Aktion für alle, die an dem Projekt mitwirken, das die CDU-Frau von der Leyen verkörpert wie keine andere: Dem Projekt, das Land kinderfreundlich zu machen.
Papa beim Auslandseinsatz
In den weißen Zelten zeigen "Lokale Bündnisse für Familie", was sie leisten. Gleichen in Niedersachsen etwa rühmt sich, sein Betreuungsangebot für Unter-3-Jährige ausgeweitet zu haben. Greifwald ist stolz, dass es sich um einen Familienbeauftragten bemüht. Kirchseeon gibt an, um ein familienfreundlicheres Lebensumfeld zu ringen, und nebenan erzählt Heidi Rinker aus der kleinen hessischen Gemeinde Riedstadt von ihrem Projekt "Tausend helfende Hände" - per Power-Point-Präsentation natürlich.
Auf "Themeninseln" wird erklärt, wie Eltern Kinder an Medien heranführen können, und an einem eigenen Stand erläutern Broschüren der Bundeswehr, wie Familie damit klar kommt, wenn der Papa zum Auslandseinsatz muss. In einem anderen Zelt steht Sabine Schönberger an einem Cocktail-Tisch mit kleinen Geschenken und Prospekten und berichtet, wie man in diesem Land Firmen auf Familie trimmt. Sie selbst ist Geschäftsführerin eines Vorzeige-Betriebs im oberpfälzischen Weiden.
Schönbergers Belegschaft - 78 Prozent Männer - sind harte Jungs. Sie fabrizieren keine Wattebäusche, sondern großes Zeug. Stahlkonstruktionen, Lärmschutzwände. So was. Eigentlich kein Ort für Gedöns-Themen wie Familie. Und doch haben die beiden Chefinnen es geschafft, einen Preis abzuräumen - als Deutschlands familienfreundlichstes Unternehmen (in der Kategorie bis zu 50 Mitarbeiter).
Schönberger kann einen ganzen Katalog an Maßnahmen präsentieren, aber im Kern, sagt sie, gehe es um eine Grundhaltung, mit der sie versuche, ihre Firma zu führen. Sie illustriert diese Haltung mit einem eindeutigen Beispiel. "Wenn zu mir ein Mitarbeiter kommt, der sagt, er müsse jetzt sechs Wochen auf Abruf bereit stehen, weil er möglicherweise jeden Moment Spermien für die künstliche Befruchtung seiner Frau zur Verfügung stellen muss, dann verstehe ich das." Dann werde alles unternommen, um das möglich zu machen. Man nehme die Mitarbeiter ernst. "Unsere Männer finden bei uns Gehör", sagt Schönberger. Das sei das Besondere. Umgekehrt motiviere dieses Klima die Mitarbeiter so, dass alle etwas davon hätten, sagt die Frau aus der Oberpfalz.
Die Überall-Ministerin zeigt sich
Ursula von Leyen selbst, die oberste Missionarin, darf an so einem Tag freilich auch nicht fehlen. Schon morgens um sieben wirbt sie in einer Radioshow für den Familientag, für die Grundidee, für die Debatten, die dort stattfinden werden, für ihr Programm. Vormittags trifft sie sich zu einem Gespräch der "Allianz für Familie", mit Vertretern der beiden Kirchen, mit Gewerkschaftern, den Großen eben. Für diese Exklusivität hat sie wieder Prügel bezogen, wie schon bei ihrem "Bündnis für Erziehung" vor ein paar Wochen. Aber was soll's. Die Kritik pariert sie mittlerweile ungerührt.
Mittags dann, um zwei, steht Ursula von der Leyen auf der Bühne, auf der zuvor Jobatey Quizfragen gestellt hat. In der ersten Stuhlreihe vor der Bühne sitzen der Bundespräsident mitsamt Gattin Eva Luise, DGB-Chef Michael Sommer und der evangelische Bischof Wolfgang Huber. Von der Leyen wiederholt das, was sie immer wiederholt. Wieder und wieder. Bis es alle gehört haben. "Familie braucht Aufmerksamkeit und Rücksicht im Alltag", sagt sie. Und dass Familie Zeit für Zuwendung brauche. "Genau das können wir nur gemeinsam schaffen", sagt sie - und erklärt, weshalb das Elterngeld so viel Sinn macht. Der Bundespräsident blinzelt in die Sonne - und klatscht.
Rekordversuch beim Familienfoto
Karl Lauterbach war an diesem Tag übrigens gar nicht weit weg von dem Familienfest. Auf der anderen Seite der Spree, ein paar Meter Fußweg vom Dom entfernt, in der DGB-Zentrale am Hackeschen Markt, hat er mit DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer die Gesundheitsreform diskutiert. Vielleicht ist er ja später noch hinübergegangen, zum Lustgarten. Um halb vier wollten die Veranstalter dort einen Rekordversuch starten: Das größte jemals geschossene Familienfoto sollte hier gemacht werden. Mit Köhler, mit Kindern, mit Eltern - und mit von der Leyen. Vielleicht war auch Lauterbach dabei. Er wäre sicher willkommen gewesen. Schließlich ist Deutschland jetzt Familie.