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Ärztestreik "Ulla ist herzlos"

Sie fühlen sich ausgebeutet. Sie fürchten um ihre Existenz - und ihre Patienten. Am Mittwoch gingen die Ärzte in Berlin auf die Straße - mit Wut im Bauch und klaren Ansagen für Ministerin Schmidt.
Eine Reportage von Florian Güßgen

Ärzte. Überall. Kinderärzte, Augenärzte, Hals-Nasen-Ohrenärzte, Allgemeinärzte, Hausärzte. Aus ganz Deutschland, aus dem Südosten, aus Leverkusen, aus Papenburg, aus Hannover, von der Ostsee. Mit ihren wütenden Plakaten, mit ihren gellenden Trillerpfeifen, mit ihren OP-Hauben beherrschen sie an diesem Mittwochmittag die Berliner Stauffenbergstraße. Sie sind gekommen, um zu demonstrieren, um ihre Wut zu zeigen - allen und vor allem Ulla Schmidt, der Gesundheitsministerin. Gegen die schlechte Bezahlung gehen sie auf die Straße, gegen den Papierkram, der sie erdrückt, gegen das System schlechthin. "Das ist jetzt das erste Mal, dass Fach- und Hausärzte an einem Strang ziehen", schwärmt Christoph Delorme. Aus Weyhe in der Nähe Bremens ist der Nervenarzt in die Hauptstadt gekommen, zu diesem "Tag der Ärzte", der ein Weckruf sein soll, der die Bürger, die Patienten alarmieren soll.

"Uns droht eine Zwei-Klassen-Medizin

Nur wenige Meter von Delorme entfernt steht der Bremer Kardiologe Andreas Janse. Auch er hat sich für diesen Tag gerüstet. Vor seiner Brust baumelt, passend zu seiner Fachrichtung, ein Lebkuchenherz. "Ulla ist herzlos", hat ein Bremer Bäcker mit weißem Zuckerguß darauf geschrieben. "Wenn das so weiter geht, droht uns eine Zwei-Klassen-Medizin", warnt er. Drastischer formuliert Frank Ilchmann, ein Chirurg aus Damgarten, einem kleinen Ort an der Ostseeküste. "Es kann nicht sein", schimpft er, "dass ich für Operationen weniger als meine Sachkosten bekomme." In seine grüne Chirurgen-Haube hat er ein knallrotes Schild gesteckt. "Stoppt Ulla und ihre Konzernberater", steht darauf. Mit einem dicken Ausrufezeichen. Seine ganze Praxis-Belegschaft hat Ilchmann mit nach Berlin gebracht. Wenn er nicht gerade spricht, bläst auch er eine dieser gellenden Trillerpfeifen.

Demonstrationszug zum Hause Schmidt

Eigentlich hat der Demonstrationszug noch gar nicht richtig begonnen, der Auflauf in der Stauffenbergstraße ist der Platznot geschuldet. Delorme, Jansen, Ilchmann und all die anderen, die draußen frieren, haben einfach nicht mehr hineingepasst in das Maritim-Hotel. Drinnen, im Foyer, im großen Saal Maritim und im kleineren Saal Berlin, drinnen im Warmen, da findet die eigentliche Auftaktveranstaltung zu diesem Aktionstag statt. Dort drinnen, auf der Bühne im Saal Maritim, spielen zunächst die "Fünf lustigen Preußen" mit Trommel und Tuba, dann kommen die Reden, von den Offiziellen, den Verbandsvertretern. Rappelvoll ist es überall, mehr Leute durften einfach nicht mehr in das Gebäude, und deshalb gibt's die Reden draußen jetzt eben nur per Lautsprecher. Aber egal. Die Argumente haben die Demonstranten ohnehin schon tausendmal gehört. Sie wollen demonstrieren, und dann, später, durchs verschneite Berlin ziehen, in die Wilhelmstraße 49, zum Gesundheitsministerium. Sollen sie doch endlich alle sehen, wie es den Ärzten wirklich geht in Deutschland. 36 ärztliche Berufsverbände haben in seltener Einmütigkeit zu diesem bundesweiten Protest aufgerufen. "Wir sind schon jetzt mindestens 8000", ruft der Einheizer den Demonstranten im Hotel entgegen. Auch draußen hören sie das. Vor Freude blasen sie in ihre Trillerpfeifen.

"Das frustriert auf Dauer"

Im Kern geht es bei diesem "Tag der Ärzte", bei diesem bundesweiten Protest ums Geld. Weil die Gesamtausgaben, die die Kassen im Jahr für ambulante Leistungen ausgeben dürfen, gedeckelt sind, ist der Topf, der für die Ärzte vorgesehen ist, irgendwann leer - auch wenn noch lange nicht alle Patienten behandelt sind. Die Ärzte müssen die Patienten umsonst behandeln. Ihr Verdienst sinkt. "Wir Ärzte haben genug von unmenschlichen Arbeitsbedingungen und unbezahlter Mehrarbeit", schleudert Jörg-Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer, sonst eher ein etwas scheu-verhuscht wirkender Mann, den Kollegen an diesem Mittag entgegen. Draußen in der Kälte berichtet Frank Ilchmann, der Chirurg aus Damgarten, davon, dass er bei einer Leistenbruch-Operation etwa 280-300 Euro draufzahlen muss - und das bei einer 65-75-Stunden-Woche. "Je anspruchsvoller die Operation wird, um so mehr zahle ich drauf", sagt er. Seine finanzielle Lage sei so ansgespannt, dass er die Zahl seiner Hilfskräfte habe reduzieren müssen. Ein Dormagener Arzt fürchtet um seine Existenz. "So, wie das momentan läuft, haben die Praxen teilweise keine Rücklagen für Neuanschaffungen mehr - und sie drohen, in die Insolvenz zu rutschen." Wie viele seiner Kollegen auch warnt er davon, dass es am Ende die Patienten sein werden, die leiden müssen. "Viele Patienten haben Forderungen und Ansprüche, die wir einfach nicht mehr erfüllen können, weil die finanzielle Grundlage fehlt. Das frustriert auf Dauer." Der Bremer Kardiologe Jansen warnt gar vor einer Zwei-Klassen-Medizin. "Es geht nicht ums Geld", sagt er. "Es geht um eine ordentliche Versorgung für die Zukunft, darum, dass für alle Patienten die gleichen Chancen bestehen und wir nicht auf eine Zwei-Klassen-Medizin zusteuern. In dem neuen Bonus-Malus-System, das demnächst eingeführt werden soll, werden Ärzte belohnt, wenn sie Patienten von teuren Behandlungen fernhalten. Das kann nicht sein", schimpft Jansen.

Verdienen Ärze genug?

Auf der Bühne hat auch Verbands-Chefs Hoppe das Thema der Deckelung aufgegriffen: "Es kann einfach nicht so weitergehen, dass Politik und Krankenkassen unbegrenzt Leistungen versprechen, zugleich aber die Budgetierungsschraube immer weiter anziehen", schimpft er. Die Bundesregierung sieht die Sache mit den Einkommen der Ärzte freilich etwas entspannter als die Betroffenen. Die Regierung bestreitet, dass Ärzte in Deutschland zu wenig verdienen. In Interviews weisen Vertreter von Ministerin Ulla Schmidt darauf hin, dass Ärzte durchschnittlich immer noch mehr verdienen als der Durchschnitt der Akademiker in Deutschland. Am Tag vor der Demonstration hat das Ministerium sogar ein 15-seitiges-Dokument an Journalisten verschickt, das diese Zahlen dokumentiert. "Da gibt es andere Zahlen", sagt dagegen einer der Demonstranten. "Es gibt Belege, dass in anderen europäischen Ländern die Erträge, die ein Arzt in freier Praxis erzielt, fast doppelt so hoch sind wie bei uns." Ärzte-Chef Hoppe warnt vor der Flucht junger Ärzte ins Ausland.

Dabei sind es nicht nur die Mediziner selbst, die an diesem Tag nach Berlin gekommen sind. Auch viele Arzthelferinnen sind dabei, auch sie bangen um ihre Existenz. "Heute Arzthilfe, morgen Hartz IV", steht auf einem Schild, "danke Frau Schmidt." Judith Voshul, die bei einem Kinderarzt in Papenburg arbeitet, formuliert das Probleme geschliffener. "Wenn Leistung und Bezahlung der Ärzte nicht auf einen Nenner gebracht werden," sagt sie, "dann sind wir die Leidtragenden, dann werden Arbeitskräfte abgebaut."

"Das muss ich mir nicht mehr antun"

Aber es geht den Ärzten an diesem Tag nicht nur ums Geld. Sie beklagen auch, dass sie spätestens seit Einführung der Praxisgebühr unter einer gewaltigen Last von Bürokratie-Kram leiden, der sie von ihrer eigentlichen Arbeit abhalte. "Wir müssen ärztlich tätig sein und nicht bürokratisch", mahnt der Bremer Kardiologe Andreas Jansen. Für den Ostsee-Chirurgen Ilchmann sind die Folgen schon jetzt absehbar. "Wenn das mit der Bürokratie so weiter geht, werden viele sagen: Das muss ich mir nicht mehr antun. Ich höre auf."Auch den Dormagener Ärzten ist vor allem der Verwaltungsaufwand ein Dorn im Auge. "Wir müssen uns wieder den Patienten widmen können - und nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sein, irgendwelche dämlichen Zettel auszufüllen."

Christoph Delorme, der Nervenarzt, steht derweil noch draußen vor dem Hotel. Die Reden sind bald gehalten, dann geht es endlich los mit der richtigen Demonstration. Delorme ist optimistisch. "In den vergangenen Jahren hatte ich immer das Gefühl, dass es ein Hickhack unter den Ärzteschaften gab, das verschiedene Leute an verschiedenen Strängen gezogen haben. Jetzt hat man das Gefühl, dass die Darstellung unserer Situation auch der Realität entspricht." Drinnen wird gerade wieder durchdringend gepfiffen.

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