Ukrainischer Präsident in Berlin Selenskyjs Besuch bei Scholz: "Nawalny ist ermordet worden – so wie Tausende andere"

Der Ausweis, den Alexej Nawalny im Straflager tragen muss 
Der Ausweis, den Alexej Nawalny im Straflager tragen muss 
© Screenshot Instagram Alexej Nawalny
Sehen Sie im Video: Russische Justiz – Kremlkritiker Nawalny in Haft gestorben.
 
 
 
 
Der führende russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist nach Angaben der Justiz in Haft gestorben. Das teilte die Gefängnisverwaltung mit, wie die staatliche Agentur Tass meldete. Der 47-Jährige solll am Freitag nach einem Spaziergang in seiner sibirischen Strafkolonie zusammengebrochen sein. Wiederbelebungsversuche von Sanitätern hätten keinen Erfolg gehabt. Nawalnys Team erklärte, es habe bislang keine Bestätigung über den Tod des Oppositionellen erhalten. Nawalny ist unter anderem wegen angeblichem «Extremismus» zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. International jedoch wird der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen forderten seit langem Nawalnys Freilassung.
Die Nachricht vom Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny platzt mitten in den Besuch von Wolodymyr Selenskyj in Berlin. Für den Präsidenten wie für seinen Gastgeber Olaf Scholz beweist er die Brutalität des Regimes von Wladimir Putin.

Die Nachricht erreicht Olaf Scholz und seinen Gast gegen 12:30 Uhr. Gerade haben der Kanzler und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach einer ersten Unterhaltung ein Sicherheitsabkommen zwischen beiden Ländern unterzeichnet. Freundliches Lächeln, Handshake, zufriedene Gesichter auch bei Annalena Baerbock und Boris Pistorius, deren Ministerien den Vertrag vorbereitet haben. Über eine steinerne Treppe im Kanzleramt ziehen sich die Delegationen anschließend zurück zu weiteren Gesprächen. In diese Unterbrechung platzt die Nachricht vom Tode Alexej Nawalnys. Sie überschattet sofort diesen Besuch.

Später, als Scholz und Selenskyj vor die Presse treten, spricht der Kanzler als erstes über die Todesnachricht. Er habe, erzählt Scholz, Nawalny getroffen, als er sich im August 2020 in Berlin von einem Giftanschlag erholte. Kanzlerin Angela Merkel hatte damals dafür gesorgt, dass Nawalny in der Charité behandelt werden und danach einige Wochen in Berlin bleiben konnte. Man habe auch über den großen Mut geredet, erinnert sich Scholz an seine Begegnung mit dem Kreml-Kritiker, den Nawalny aufbringen müsse, um wieder zurück nach Russland zu gehen. "Und wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt bezahlt mit seinem Leben", sagt der Kanzler.

"Zu Tode gequält wegen eines Mannes"

Spätestens jetzt wisse man ganz genau, "was das für ein Regime ist", sagt Scholz mit Blick auf das Russland Wladimir Putins. "Wer Kritik äußert, sich für die Demokratie einsetzt, muss fürchten um Sicherheit und Leben." Es sei ein furchtbares Zeichen dafür, wie sich Russland verändert habe: Nach "leider nun schon lange zurückliegenden hoffnungsvollen Zeichen" sei Russland, so der Kanzler, "schon lange keine Demokratie mehr".

Auch Selenskyj nimmt kein Blatt vor den Mund. "Sehr bedauerlich", so die offizielle Übersetzung, sei der Tod Nawalnys in einem russischen Gefängnis. Es sei für ihn "offensichtlich", sagt der ukrainische Präsident: "Er wurde getötet, wie andere Tausende, die zu Tode gequält wurden, wegen dieses einen Menschen", so Selenskyj mit Blick auf Putin. Dem sei es egal, wer sterbe, er verändere seine Position nicht. "Deshalb sollte er auch alles verlieren".

Scholz und Selenskyj — das Verhältnis hat sich gewandelt

Das ist quasi der Übergang zum Krieg Russalnds gegen die Ukraine und damit dem eigentlichen Anlass des Besuches von Selenskyj in Berlin – der dritte in seiner Zeit als Präsident, der zweite seit dem russischen Überfall vor zwei Jahren. Das Verhältnis zu Deutschland war anfangs belastet wegen der Russland-Politik Deutschlands zu Zeiten Angela Merkels, die auch Olaf Scholz als Vizekanzler mitgetragen hatte und die Selenskyj eine Zeitlang auch in öffentlichen Äußerungen mitverantwortlich machte für die russische Aggression. Doch das Verhältnis hat sich gewandelt. 

Deutschland ist nach den USA finanziell wie militärisch inzwischen der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine. Auf insgesamt 28 Milliarden Euro beziffert der Kanzler allein die militärische Unterstützung, die bislang geflossen und für die Zukunft avisiert sei. Sechs Milliarden Euro davon allein 2024. An diesem Tag in Berlin erhält die Ukraine Zusagen über die Lieferung von Radhaubitzen, 120.000 Schuss Artilleriemunition und Luftabwehrinstrumente im Wert von mehr als einer Milliarde Euro. Deutschland werde die Ukraine weiter unterstützen, so lange wie nötig, das habe er immer gesagt, so Scholz – "as long as it takes".

Trotz der kritischen Lage an der Front deutet der Kanzler die Situation insgesamt positiv: Putin habe "kein einziges" seiner Kriegsziele erreicht, sagt Scholz und findet warme Worte für den "heldenhaften Kampf" des ukrainischen Volkes. Der Widerstandsgeist sei "bewundernswert". Selenskyj wiederum ist voll des Dankes an die Bundesregierung, aber auch an die Deutschen insgesamt. Die Artilleriemunition brauche sein Land "dringend", die Luftverteidigungssysteme sogar "verzweifelt", sagt Selenskyj. Es gebe einen Rückgang an Unterstützung bei einigen Partnern, sagt der Präsident, ohne konkret zu werden. Deshalb sei die deutsche Unterstützung "für uns vital". Deutschland sei "führend bei Luftabwehr", das habe schon viele Leben gerettet. Von zusätzlichen Forderungen ist in der Pressekonferenz keine Rede, das Wort Taurus – jene Marschflugkörper, deren Lieferung Scholz hartnäckig verweigert – fällt nicht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kanzler sieht "glasklare Botschaft" an Putin

Das Abkommen, das beide an diesem Tag unterschrieben haben, dient vor allem der langfristigen Unterstützung. Es fußt auf einer Vereinbarung der G7-Staaten am Rande des letzten Nato-Gipfels in Vilnius. 20 Länder haben sich dem insgesamt inzwischen abgeschlossen. Deutschland ist nach Großbritannien das zweite Land, das einen konkreten Vertrag mit der Ukraine abschließt. Am Abend folgt Frankreich mit einer vergleichbaren Vereinbarung. 

Putin halte an seinen "erbarmungslosen Kriegszielen fest", sagt Scholz. Deshalb setze man auf die "glasklare Botschaft" an den russischen Präsidenten: "Wir stehen weiter fest an der Seite der Ukraine." Selenskyj formuliert es so: Die Ukraine habe noch nie stärkere Dokumente der Unterstützung gehabt, "als die, die wir heute unterzeichnet haben".