Angela Merkel und die Atomlobby Die Kanzlerin am längeren Hebel

Mehr als 40 deutsche Top-Manager und Prominente haben mit einer gemeinsamen Anzeige Front gegen die Regierungspläne für neue Energiesteuern gemacht und gleichzeitig vor einem vorzeitigen Abschalten von Atomanlagen gewarnt. Merkel reagierte gelassen auf die Anzeige, die auch CDU-Vertreter unterzeichnet haben. Denn am Ende sitzt die Kanzlerin am längeren Hebel.

Angela Merkel ist eine vorsichtige Politikerin. Konflikte, die sie auf jeden Fall verlieren wird, geht die Kanzlerin selten ein. Als 40 Top-Manager und Prominente am Freitag ihren Warnruf zur Rettung der Atomenergie in Deutschland publik machten, wirkte es deshalb zunächst so, dass die CDU-Chefin bei der geplanten Verlängerung der Atomlaufzeiten massiv unter Druck kommt und einknicken müsste. Doch dass Regierungssprecher Steffen Seibert betont gelassen abwinkte, hatte nicht nur taktische Gründe.

Denn auch wenn Merkel damit leben muss, dass der Appell als Warnruf, Drohung oder massives Zeichen der Unzufriedenheit mit ihrer Regierung gewertet wird - im Grunde ist sie nicht einmal unglücklich darüber. Das vehemente Plädoyer für die Atomenergie und die Warnung vor zu großen finanziellen Belastungen bei einer Verlängerung der Laufzeiten kommt der Kanzlerin vielmehr sehr gelegen. Letztlich trägt der Appell dazu bei, das anvisierte Energiekonzept am Ende als die von Merkel fast immer favorisierte "Position der Mitte" erscheinen zu lassen. Erst am Donnerstag war sie bei einem Besuch der Europäischen Energiebörse in Leipzig schließlich mit Pfiffen der Atomgegner empfangen worden.

Milliardenschweres Pokerspiel

Dass die Energieversorger bei dem milliardenschweren Pokerspiel um die Atomlaufzeiten alle Register ziehen würden, war im Kanzleramt ohnehin erwartet worden. Schon in der großen Koalition hatte Merkel ihre Erfahrungen mit den Industrieverbänden und der Lobbyarbeit finanzstarker Konzerne gemacht. Bei der Bankenrettung war dies ähnlich.

Aber der Streit mit den Konzernen ist derzeit ohnehin Merkels kleineres Problem: Die Regierung sitzt bei den Verhandlungen am längeren Hebel. Im Notfall kommt trotz der Proteste die Brennelementesteuer, für die das Finanzministerium bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Und die Konzerne protestieren zwar lautstark, wissen aber genau, was sie an der schwarz-gelben Regierung haben, die den rot-grünen Ausstiegsbeschluss aus der Atomenergie auf jeden Fall kippen will.

In Regierungskreisen wird zudem darauf verwiesen, dass die Zeichen in Wahrheit (noch) nicht auf Sturm stünden: Nach einem Gespräch mit den Vorstandschefs der vier großen Energieversorger hatte Merkel ihren Finanzminister schließlich beauftragt, auch über die gewünschte vertragliche Alternative zur Brennelementesteuer zu verhandeln. Als weiteres Entgegenkommen hat die Kanzlerin nun kurzerhand die Zeit für diese Gespräche verlängern lassen, weil eine Einigung nicht mehr zwangsläufig am 1. September fallen muss. Seit langem fordern die Versorger, dass die Frage der Laufzeiten und die Mehrkosten miteinander verbunden werden müsste.

Statt Seelsorge für nervöse Energie-Vorstände zu betreiben, muss Merkel vielmehr in der eigenen Regierung und der eigenen Partei verhindern, dass das Atomthema zum Flächenbrand wird. Denn Finanzminister Wolfgang Schäuble will um jeden Preis sicherstellen, dass er 2,3 Milliarden Euro für die Haushaltssanierung erhält. Nur mühsam konnte Merkel deshalb ihren Kurs durchsetzen, dies Schäuble zu garantieren, aber trotzdem den erwarteten Abschluss der Gespräche mit den Konzernen in die zeitliche Nähe mit der Entscheidung über das Energiekonzept der Regierung zu rücken.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nord-Süd-Konflikt um Atomkraft

Damit hat sie aber noch nicht den Konflikt innerhalb ihrer Partei gelöst: In der CDU stehen sich die Atomenergiefreunde aus den Kraftwerkstandorten im Süden und etliche Norddeutsche und Anhänger der Erneuerbaren Energien gegenüber, die eine zu lange Laufzeitverlängerung nicht mitmachen wollen.

Der Protest der Konzerne kann möglicherweise auch hier helfen - meint zumindest Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin. Denn wenn Merkel nun einen anderen Kurs fährt als von den Managern in deren Anzeige gefordert, könnte dies die Unabhängigkeit der Union von der Wirtschaft unterstreichen. "Wenn die CDU sich als Volkspartei darstellen kann, die allen Teilen der Gesellschaft etwas anzubieten hat, und nicht nur bestimmten Interessengruppen, dann ist dies im Sinne der Akzeptanz der CDU," sagte Neugebauer.

Anders ausgedrückt: Gerade weil die Mehrheit der Deutschen der Atomenergie kritisch gegenüber steht, geht es der Merkel-Regierung bei der Verlängerung der Laufzeiten vor allem darum, wie sie diese politisch "verkaufen" kann, ohne noch weiter in den Umfragen abzusacken. Das könnte nach Meinung von Regierungsmitgliedern zu einem Paradox führen: Je lauter die Energiefirmen lange Laufzeiten und eine geringe finanzielle Belastung fordern, desto wahrscheinlicher wird, dass das Gegenteil eintritt.

Reuters
Andreas Rinke, Reuters