Asylverfahren? Welches Asylverfahren? In Sachsen wurden 2500 Flüchtlinge "vergessen"

Von Frauke Hunfeld
In Deutschland sind offenbar Tausende Asylbewerber von den Behörden "vergessen" worden. Allein in Sachsen sollen rund 2500 Flüchtlinge betroffen sein. Ihr Asylverfahren kommt nicht voran, weil es gar kein Asylverfahren gibt.

Seit Monaten hofft Rami Falah, 33, aus Syrien auf Post. Im Oktober vergangenen Jahres bezog er ein Asylbewerberheim in Bautzen, Sachsen. Seitdem wartet er auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Oder auf Nachfragen. Oder auf Auskunft über den Stand. Oder auf überhaupt irgendein Lebenszeichen von der Behörde, die über sein Schicksal - und damit auch über das seiner Frau und seiner Kinder im syrischen Bürgerkrieg - entscheidet. Es passiert: nichts. Andere Syrer kommen, werden anerkannt, fangen ein neues Leben an, Rami Falah wartet. Bald hält er es nicht mehr aus.

Rami Falah ist einer von offenbar Tausenden Menschen, für die im Bundesamt keine Akten angelegt wurden. Ihr Asylverfahren geht nicht voran, weil es gar kein Asylverfahren gibt. Sie wurden wegen der Überfüllung der Erstaufnahmestätten offenbar so schnell in die Länder und Kommunen verteilt, dass der eigentliche Grund ihres Hierseins aus dem Fokus verschwand. Hauptsache, erst einmal untergebracht. Dass etwa 2500 Flüchtlinge in Sachsen betroffen sein könnten, bestätigt der Sprecher des BAMF, Mehmet Ata. Wie viele in anderen Bundesländern betroffen seien, wisse man derzeit nicht.

Niemand gibt Auskunft

In ganz Deutschland fragen sich nun Flüchtlinge, ob sie einfach noch nicht an der Reihe sind oder ob man sie womöglich vergessen hat. Aber wie bekommt man das heraus? Wo kann man Auskunft bekommen? Die Zuständigkeiten und Verfahrensweisen sind verwirrend - nicht nur für die Flüchtlinge, sondern offenbar auch für die Behörden.

Steffen Grundmann, Sozialarbeiter in Bautzen, hat für Rami Falah und zwei Dutzend Flüchtlinge versucht, Auskunft zu erhalten. Das BAMF verweist an die Ausländerbehörden, die Ausländerbehörden verweisen zurück. Ein BAMF-Mitarbeiter verschickt Formulare, mit denen der Sozialarbeiter im Auftrag der Flüchtlinge Nachforschungen anstellen könnte. Eine andere BAMF-Mitarbeiterin bezweifelt die Gültigkeit des Formulars und verweist an den Datenschutzbeauftragten. Der Datenschutzbeauftragte verlangt, dass die Unterschrift auf der Vollmacht zur Erteilung einer Auskunft über den Stand des Asylverfahrens - falls es eines gibt - von einem Notar oder einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde beglaubigt wird. Termine sind schwer zu kriegen. Der Sprecher des BAMF bestreitet, dass eine Beglaubigung  notwendig ist. Der Datenschutzbeauftragte findet, dass man solche Dokumente nicht per Email verschicken kann. Aber die Post streikt. Nichts dreht sich im Verwaltungswunderland Deutschland.

Korrektur: Rami Falah hat Ende März einen Fragebogen ausgefüllt und im April seine Fingerabdrücke abgegeben.

Er wartet weiter. Rennt um den Block. Boxt im Boxclub Bautzen. Versucht, nicht ununterbrochen an seine Familie zu denken. Währenddessen vergeht die Zeit. Explodieren die Bomben in Syrien, im Irak und auch in Rami Falahs Heimat. 

 

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