Aus stern Nr. 02/2005 Deutsch-Tsunami

Die Bundesregierung hat beispielhaft reagiert auf die asiatische Katastrophe - und nun die Chance, die nationale Psychologie gründlich zu verändern. Aus stern Nr. 02/2005

Diese Regierung zu loben ist riskant. Wer es wagt, liefert sich vielleicht schon morgen der Lächer lichkeit aus. Gerhard Schröders Blackout um den Nationalfeiertag war das letzte warnende Beispiel. Kaum zeichneten sich die Konturen eines geradlinig regierenden Nationalkanzlers ab - da zeigte er sich entblößt von dem, was man ihm stets reichlich zugemessen hatte: Instinkt. Gerd der Spieler schob sich wieder vor Schröder den Strategen.

Dennoch: Zu Beginn dieses Jahres ist Anerkennung ein Gebot der Gerechtigkeit. Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben beispielhaft reagiert, als es galt, das Mögliche gegen die Folgen der asiatischen Flut zu organisieren. Die deutsche Regierung war erkennbar die erste und einzige außerhalb der Krisenregion, die sofort die apokalyptische Dimension erkannte, die rasch, zupackend und umsichtig handelte. Der vordem lustlos tändelnde Außenminister, der seinen Krisenstab selbst in der Silvesternacht persönlich leitete, der von seinem härtesten Jahr erschöpfte Kanzler, der seinen Urlaub abbrach und der Nation ein bestechendes Hilfskonzept präsentierte - jeder Industriestaat sorgt für einen Katastrophenstaat, jedes Bundesland kümmert sich um eine Provinz, jede Kommune um eine Gemeinde, jede Schule um eine Schule (wer diese Idee hatte, verdient einen Orden!): Die Regierung hat perfekt regiert. Alles bloß Ablenkung von den eigenen Problemen? Flut 2? Wiederaufführung des wahlkampferprobten Erfolgsstücks vom gummistiefelnden Deichgrafen in ostdeutscher Landschaft? Sicher, es gibt keine Politik ohne Kalkül ihrer Wirkung aufs Publikum. Aber auch bei kritischer Beobachtung schlich sich diesmal nicht ein einziges Mal der peinliche Eindruck ein, hier inszenierten zynische Regisseure der Macht eine abgefeimte Betroffenheitsshow. Was nun folgt im deutschen Räderwerk der Katastrophenverarbeitung, kann ihnen ja nicht angerechnet werden: das selbstsüchtige Protzen von Hilfswerken und Konzernen, die heuchlerische Song-Texterei der Musikindustrie, der abstoßende Spendengala-Spurt der Sender (schon der Begriff Gala lässt grausen), das widerwärtige Gesumme der Promi-Schwärme (ob aus dem Luxusresort gerettet oder nicht, sie sind nicht zu retten). Quote, Schlagzeile, Umsatz - die Leichenfledderei verursacht Brechreiz. Man kennt das, man hat schon häufig gewürgt bei solcher Gelegenheit. Neu ist, oder vorsichtiger formuliert: neu könnte sein, wie der Tsunami Politik und öffentliches Klima verändert in Deutschland. Vorausgesetzt, die Regierung praktiziert selbst jene Nachhaltigkeit, die ihr Hilfskonzept verlangt. Erahnen lässt sich jedenfalls nach chaotischen Jahren der Stümperei eine Politik beispielhafter Zuwendung und persönlicher Verantwortung. Schröder kümmert sich um seine Regierung, Fischer um den Krisenstab, Clement um Hartz IV, Stolpe um die Maut. Die Nation begreift: Es kann gelingen. Nur so.

Fühlen sich die Deutschen zunehmend aufgehoben bei einer Regierung der Zuwendung, brechen für die Opposition schlechte Zeiten an

Deutsch-Tsunami, das kann zum Begriff werden für ein Gemeinschaftsgefühl, das die asiatische Katastrophe nicht geschaffen, aber freigelegt hat. Und das Perspektiven verändert. Schon den Blick auf das neue Jahr. Die Deutschen sind nicht apathisch und resigniert, sie teilen die Sehnsucht nach gemeinsamer Anstrengung, gemeinsamen Zielen, gemeinsamem Erfolg. Nach dem, was die Politik bislang tastend oder marktschreierisch als Patriotismus bezeichnet hat. Hartz IV wandelt sich vor solchem Hintergrund vom größten Risiko zur größten Chance der Regierung. Wenn sie endlich lernt, was sie schon nach der deutschen Flut 2002 hätte lernen können. Stellt sie sich den Problemen - in einem gemeinschaftlichen, nachvollziehbaren Projekt von Versuch und Korrektur, professionell, aufmerksam auch im Detail, aufgeschlossen für Kritik und Selbstkritik -, kann sie nur gewinnen. Dann nämlich ist Hartz IV nicht mehr Chiffre für eiskalte Sozialklempnerei. Dann wenden sich die Menschen nicht mehr unbeteiligt oder zornig ab, um zu beobachten, ob die in Berlin Schiffbruch erleiden. Sie verstünden es als ihr Projekt. Und dann, bei solcher Haltung, wäre auch ein Reformstopp bis zur Wahl 2006 eine folgenschwere Verirrung. Dann allerdings wäre Deutsch-Tsunami auch die gefährlichste Bedrohung der Union. Fühlen sich die Deutschen zunehmend aufgehoben bei einer Regierung der Zuwendung, brechen für eine Opposition schlechte Zeiten an, die in den eigenen Reihen Unfähigkeit zur Zuwendung kultiviert. Angela Merkel ist allein gelassen und dramatisch schlecht beraten. Sie braucht einen neuen Anfang. Nicht nur, dass der Kanzler nun im direkten Vergleich 15 Punkte vor ihr liegt, zur Jahreswende hat die SPD auch in der Bewertung der Kompetenz mit der Union gleichgezogen. Ein Jahr zuvor wurde die Union noch fast dreimal so stark wie die SPD bewertet. Weggespült. Deutsch-Tsunami.

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Hans-Ulrich Jörges