Haare wachsen wieder. Springerstiefel können ausgezogen werden. Äußerlichkeiten sind schnell beseitigt, doch rechtes Gedankengut verschwindet nicht einfach aus den Köpfen. Das wissen auch die Mitarbeiter des Aussteigerprojektes „exit„. Denn die rechte Szene gibt keinen freiwillig her. Seit über zwei Jahren unterstützen die Projektmitarbeiter bundesweit aussteigewillige Neonazis. Zurzeit sind es rund 100. Die meisten haben schwere Straftaten begangen und waren in rechten Parteien und Organisationen aktiv.
Stundenlange Gespräche mit Psychologen
Etwa 30 Jugendliche haben es geschafft, mit Unterstützung von „exit„ den Schritt in ein normales Leben zu vollziehen. Auch hier hat sich bestätigt: Der Ausstieg aus dem Rechtsextremismus ist ein komplizierter und langwieriger Prozess. „Ich will merken, dass sich die Leute mit der rechten Ideologie auseinander setzen„, sagt der Berliner Projektmitarbeiter Sven.
Stundenlange Gespräche mit Fallbetreuern und Psychologen sind die Regel. Oftmals setzen sich die Aussteigewilligen dort das erste Mal mit ihrer rechten Gesinnung auseinander. „Wenn jemand Zweifel bekommt oder gar den Holocaust nicht mehr leugnet, ist das für uns ein Erfolg„, meint Sven.
Wer sich an „exit„ wendet, ist in einer ausweglosen Situation. Die Karrieren der Aussteiger sind ähnlich. Oft war die rechte Szene Ersatz für kaputte Familien und eine zerstörte Kindheit. Viele von ihnen haben weder Schulabschluss noch Berufsausbildung. Wer sich als Aussteiger outet, gilt in rechten Kreisen als Verräter und wird bedroht. Damit ist der Weg zurück versperrt.
Dabei scheint der erste Schritt des Bruchs mit der rechten Szene leicht: Alle Gegenstände mit rechter Symbolik müssen abgegeben werden. So werden bei „exit„ T-Shirts mit Hakenkreuzen gegen einfarbige eingetauscht. Viele Jugendliche haben sich ihre rechte Gesinnung in die Haut gebrannt. Tätowierungen mit SS-Runen oder Hassparolen können mit Lasertechnik entfernt oder zumindest gebleicht werden.
Viele der potenziellen Szene-Aussteiger holt „exit„ aus ihrer gewohnten Umgebung. Das ist nicht nur für ihre eigene Sicherheit wichtig. Auch der Kontakt der Aussteiger untereinander wird unterbunden. Der Verein hilft beim Nachholen des Schulabschlusses oder sucht nach einem Ausbildungsplatz. Viele der Ex-Neonazis finden dort erstmals Kontakt außerhalb der rechten Szene.

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Kneipengespräche als Therapie
Doch ein normales soziales Leben können auch die Mitarbeiter von „exit„ nicht verordnen. Sie zeigen nur Perspektiven, die jeder selbst nutzen muss. „Ich habe Skinheads erlebt, die tagelang an die Decke gestarrt haben und mit ihrer Zeit nichts anzufangen wussten„, erzählt Sven. Für viele ist schon das Gespräch am Kneipentresen oder das Fußballspiel in einem Sportverein eine Therapie.
Zehn Jahre war der Schwede Kent Lindahl aktiver Neonazi. Bis 1993 hat der heute 37-Jährige geraubt, geprügelt und und dafür im Gefängnis gesessen. Doch dann kamen ihm immer mehr Zweifel an seinen rechten Überzeugungen. Er wollte der Szene endgültig den Rücken kehren. Der Ausstieg sei unglaublich hart gewesen, erinnerte er sich. Die „alten„ Freunde verfolgten und bedrohten ihn. Lindahl gründete den Verein „exit„ nach norwegischem Vorbild. Aussteigern, wie er einer war, wollte er helfen.
Nach diesem Vorbild ist auch das deutsche Aussteigerprojekt entstanden. Zu den deutschen Mitgründern zählt neben der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung und der Aktion der Zeitschrift „Stern„ gegen rechte Gewalt auch der Ex-Neonazi Ingo Hasselbach.