Der von Bundesaußenminister Joschka Fischer angeordnete Stopp der ehrenden Nachrufe auf verstorbene Diplomaten mit NS-Vergangenheit hat amtsintern heiße Diskussionen ausgelöst. Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zufolge haben mehr als siebzig Diplomaten mit einer Unterschriftenaktion gegen die Anordnung protestiert. Eine andere Gruppe von Diplomaten stellte sich hinter Fischer und nannte die Änderung in einem AP vorliegenden Leserbrief für die Hauszeitschrift "internAA" überfällig.
Auslöser war ein Nachruf auf einen verstorbenen Generalkonsul, der für erhebliche Entrüstung gesorgt hatte. Der Mann hatte vor 1945 als Oberstaatsanwalt und NSDAP-Mitglied in der besetzten Tschechoslowakei an zahlreichen Verfahren mitgewirkt. Er war von der US-Armee an die tschechischen Behörden ausgeliefert und für zehn Jahre interniert worden. Fischer hatte daraufhin angeordnet, dass statt Nachrufen künftig für alle verstorbenen Diplomaten des Auswärtigen Amtes in der Hauszeitschrift eine Todesnachricht erscheinen soll, die den beruflichen Werdegang im AA und Angaben zur Beisetzung enthält.
"Empörung und Unverständnis"
In einem Schreiben an die Mitarbeiter des Amtes hatte Fischer dies auch mit dem Ruf Deutschlands im Ausland begründet: "Ehrende Nachrufe in diesen und vergleichbaren Fällen würden im In- und Ausland zurecht auf Unverständnis und Empörung stoßen und wären geeignet, das Ansehen des Auswärtigen Amts und der Bundesrepublik zu beschädigen."
"Manichäisches Geschichtsbild"
Die Initiatoren des Protests betonten, die Ehrung der Toten gehöre zum "kulturellen Kernbestand" sämtlicher Zivilisation. Dies nur wegen der ehemaligen Zugehörigkeit zu einer Organisation des Dritten Reiches zu verweigern, sei Ausdruck "anmaßender Selbstüberschätzung und spiegelt das manichäische Geschichtsbild derjenigen wider, die bereits 1968 glaubten, keinem über 30 trauen zu dürfen", zitierte die Zeitung aus dem Schreiben. Dem Bericht zufolge schlossen sich dem Protest binnen zweieinhalb Tagen mehr als 70 von zweihundert angeschriebenen Amtsangehörigen an.
Die Gruppe der Befürworter hingegen nannte die "Änderung der Nachrufpraxis überfällig". Die entstandene Diskussion sei "eine Folge der erheblichen NS-Verstrickung des AA-Führungspersonals nach Errichtung des AA bei Neugründung 1951": Von 25 Beamten im höheren Dienst in der Personalabteilung seien 19, von 17 in der Politischen Abteilung 13 und von 17 in der Rechtsabteilung 11 NSDAP-Mitglieder gewesen. "Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit innerhalb des AA schon viel früher erfolgt wäre, nicht erst jetzt, wo die meisten der Betroffenen - Opfer wie Täter - bereits verstorben sind", heißt es in dem Schreiben.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes wollte die Diskussion auf Anfrage nicht kommentieren. Es handele sich um eine interne Debatte, sagte sie zur Begründung. Inoffiziell wurde in der Leitungsebene des Amtes darauf verwiesen, dass das Protestschreiben nur von 70 der rund 200 Angeschriebenen unterzeichnet worden sei, so dass es ganz offensichtlich auch Befürworter der Linie Fischers gebe.