Berlin-Debatte Das Kreuz mit der Hauptstadt

Was ist den Deutschen ihre Hauptstadt wert? Auf die Forderung von Bundespräsident Rau nach einer Neudefinition Berlins reagieren die Länder zurückhaltend. Die bettelarme, vergangenheitsbelastete Metropole wird immer noch nicht geliebt.

Über 12 Jahre ist es her, dass der Bundestag mit 338 zu 320 Stimmen die Entscheidung für Berlin als alte neue Hauptstadt der Bundesrepublik fiel. Doch die Debatte, welche Funktion die hoch verschuldete, von der doppelten totalitären Vergangenheit belastete Metropole in einem wiedervereinigten Deutschland haben soll, dümpelt immer noch vor sich hin. Richtig akzeptiert oder gar geliebt wird die einzige Großstadt noch lange nicht.

Jetzt brachte Bundespräsident Rau einen frischen Wind in die Diskussion und forderte eine Neudefinition der Rolle Berlins. Der Bundespräsident sprach sich dafür aus, sich in der Föderalismus-Kommission auf einen länder- und parteiübergreifenden Konsens zu einigen. Gemeinsam müssten dort spezielle Hauptstadtaufgaben festgelegt werden, zu denen dann auch alle stünden. Die anderen 15 Bundesländer reagierten zurückhaltend: Geht es doch letzlich wieder ums Geld, um neue Milliarden für den an seinen Schulden erstickenden Stadtstaat.

Bundesländer fürchten Geld- und Bedeutungsverlust

Die Ministerpräsidenten von Nord bis Süd wehren sich heftig dagegen, den Schuldenberg Berlins mit abzubauen. Sie erwarten, dass der Bund die Länder über den Länderfinanzausgleich mit zur Kasse bittet, wenn die Hauptstadt mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben sollte. Berlin will dort zusätzliche Bundesmittel zum Schuldenabbau in Höhe von 35 Milliarden Euro erklagen. Die reichsten Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen kündigten bereits rechtlichen Widerstand in Karlsruhe an.

Die Herzen der Kieler, Düsseldorfer oder Leipziger zu gewinnen, wird den mit jetzt bereits 52 Milliarden Euro verschuldeten Hauptstädtern auch aus einem anderen Grund schwer fallen. Die anderen 15 Bundesländer wachen eifersüchtig darüber, dass sie gegenüber dem Sitz von Bundesregierung und Parlament nicht immer mehr an Bedeutung verlieren. Zudem ist Berlin belastet mit seiner Vergangenheit als ebenso zentralistische wie diktatorisch-blutige Hauptstadt der Nationalsozialisten oder der undemokratischen DDR-Machthaber.

Die Berliner Opposition-Fraktionen von CDU, FDP und Grünen griffen Raus Plädoyer natürlich begeistert auf. Sie verbanden dies mit heftigen Attacken gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Der SPD- Politiker tue viel zu wenig, um bei den Bürgern außerhalb Berlins oder seinen Amtskollegen mehr Akzeptanz für die Bundeshauptstadt zu erreichen.

Berlin fordert Anerkennung des Hauptstadt-Status

Die Regierungsparteien SPD und PDS wiesen die Kritik der Opposition an Wowereit als unberechtigt zurück: "Wer ständig nach mehr Geld für Berlin verlangt, wird die anderen Länder nur nerven und ihre Abwehrhaltung verstärken", heißt es aus der SPD. Für den Landesvorsitzenden Peter Strieder hat sich gerade an dem jüngsten Gezerre im Vermittlungsausschuss erwiesen, dass die Länder wenig Bereitschaft zur Unterstützung des Ostens und Berlins zeigten.

Senatssprecher Michael Donnermeyer gibt sich gelassen. Die Arbeit für die Hauptstadt sei das Alltagsgeschäft des Regierenden. "Wo er geht und steht, macht Wowereit Werbung für die Hauptstadt." Jetzt komme es aber darauf an, dass die anderen Länder in der Föderalismus- Kommission den Status Berlins als Hauptstadt anerkennen und entsprechend ausstatten.

Kirsten Baukhage/Christoph Marx