Der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags muss seine unterbrochenen Anhörungen fortsetzen. Mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einem Eilantrag von Union und FDP gegen das von Rot-Grün durchgesetzte vorzeitige Aus des Ausschusses stattgegeben. Die Richter verpflichteten das Gremium, die Zeugenvernehmung solange fortzusetzen, bis der Bundespräsident das Parlament auflöst. Eine Begründung veröffentlichte das Gericht zunächst nicht. Sie soll noch nachgereicht werden.
Doppelschlag gegen Rot-Grün
Die Karlsruher Entscheidung bedeutet eine weitere herbe Schlappe für SPD und Grüne in einem Moment, in dem die Koalition ohnehin am Boden zerstört ist. Noch in der vergangenen Woche hatte sich der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Olaf Scholz, eigentlich ein versierter Jurist, absolut überzeugt gezeigt, dass die Klage der Opposition gegen die Einstellung der Anhörungen in Karlsruhe keinen Erfolg haben wird. Nun haben die Richter der Opposition Recht gegeben. Union und FDP erhalten nun doch noch die Chance, Innenminister Otto Schily am 8. Juli in die Mangel zu nehmen und das ohnehin ramponierte Ansehen der Regierung auch in Sachen Visa noch weiter zu beschädigen. Aber nicht nur das. Die Opposition kann zudem noch die Tatsache genüsslich ausweiden, dass die rot-grüne Koalition selbst in Karlsruhe mit ihren Argumenten nicht mehr durchzudringen scheint.
Durch den Beschluss des Verfassungsgerichts sieht sich die Union voll bestätigt. "Rot-Grün hat eine schwere Niederlage erlitten", triumphierte etwa CDU-Obmann Eckart von Klaeden in Berlin und behauptete weiter: "Der Rechts- und Verfassungsbruch zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch die gesamte Visa-Affäre." CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel sagte, die Menschen in Deutschland störe es, wie Rot-Grün mit den Institutionen und Regeln umgehe. Deshalb begrüße sie die Entscheidung des Gerichts.
SPD reagierte mit Unverständnis
Die SPD hat dagegen mit Unverständnis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes reagiert. Durch die Entscheidung die Zeugenvernehmung fortzuführen, werde es nahezu unmöglich, den Bundestag rechtzeitig einem Sachstandsbericht vorzulegen, erklärten die Obleute von SPD und Grünen, Olaf Scholz, und Jerzy Montag. "Ich verstehe die Entscheidung nicht", so Scholz. Dennoch wollten beide die Entscheidungen des obersten deutschen Gerichts einhalten.
Der Untersuchungsausschuss war Ende vergangenen Jahres einberufen worden. Anlass war der massenhafte Missbrauch von Einreisevisa. Die Opposition wirft der Bundesregierung vor, durch zu lasche Vorschriften bei der Visapolitik den massenhaften Missbrauch deutscher Einreise-Visa an der deutschen Botschaft in der Ukraine erleichtert zu haben. Dabei verfolgte die Opposition offensichtlich vor allem ein Ziel: die Demontage von Außenminister Joschka Fischer, dem damals beliebtesten deutschen Politiker. Eine Strategie, die aufging. Obwohl Fischer bei einer im Fernsehen live übertragenen Aussage vor dem Ausschuss versuchte, Punkte gut zu machen, verlor er in Umfragen drastisch an Beliebtheit.
Schily will aussagen
Als Bundeskanzler Gerhard Schröder dann am 29. Mai 2005 vorzeitige Neuwahlen angekündigt hatte, sah die Regierung darin offenbar eine Gelegenheit dem imageschädigenden Ausschuss ein Ende zu setzen. Die rot-grüne Mehrheit im Ausschuss beschloss, die weitere Beweisaufnahme auszusetzen. Zur Begründung hieß es, dass nur so der gesetzlich vorgeschriebene Sachstandsbericht über die Arbeit des Ausschusses rechtzeitig vorgelegt werden könne. Union und FDP sahen ihr Minderheitenrecht verletzt und reichten am 6. Juni 2005 einen Eilantrag am Bundesverfassungsgericht ein. Sie werfen der Regierung einen verfassungswidrigen Versuch vor, die Beweisaufnahme abzubrechen. Mit dem Abbruch der Beweisaufnahme wolle die Regierung unter anderem die ursprünglich für den 8. Juli geplante Aussage von Innenminister Otto Schily (SPD) verhindern. Schily hatte die Visapolitik des Auswärtigen Amtes intern kritisiert. Von der Entscheidung des Gerichts zeigte er sich jetzt zwar überrascht, erklärte sich aber zu einer baldigen Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss bereit. "Ich kann sicher einiges zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen", so Schily.