Gerade sind die Klänge des Klassikers "Hells Bells" der Hardrocker AC/DC im Konrad-Adenauer-Haus verklungen, da knöpft sich Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Grünen vor. Unter dem Jubel der Junge-Union-Mitglieder wettert der Verteidigungsminister, die Grünen zeichne doch nur die "bebende Unterlippe der Empörung" aus. Seien sie in Regierungsverantwortung, täten die Grünen nur eins: versagen. Man dürfe sich da bitteschön keinen Illusionen hingeben, fordert er den Parteinachwuchs am Samstagabend in der CDU-Zentrale auf. Gemünzt ist die Warnung auf Anhänger schwarz-grüner Bündnisse.
Der Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 und die längeren Atomlaufzeiten hat die Koordinaten im "Herbst der Entscheidungen" deutlich verschoben. Noch vor fünf Monaten wurde offen über eine mögliche schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen diskutiert. Nun schweißt der Höhenflug der Grünen und ihre Mobilisierung gegen Schwarz-Gelb die lange Zeit miteinander fremdelnden Koalitionäre von Union und FDP zusammen. In Hamburg musste die CDU auf Kosten des eigenen Ansehens erleben, dass sie sich in schwarz-grünen Koalitionen - vor allem in der Schulpolitik - stark verbiegen muss.
Mit Standhaftigkeit und dem Durchsetzen auch unbequemer Entscheidungen will die Union nun gerade die konservativen Wähler bei der Stange halten. Die Union sieht die Grünen angesichts von Umfragewerten von rund 20 Prozent als Hauptgegner, die SPD erwähnt auch Guttenberg nur am Rande, etwa als er mit Blick auf den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten sagt: "Es gibt - neben Fidel Castro - keinen Bärtigen, der mich so ermüdet wie Kurt Beck."
Auch im Bundestag fiel zuletzt auf, dass die Grünen von der Union hart angefasst werden: Kanzlerin Angela Merkel machte sie und ihre Sympathisanten dafür verantwortlich, dass es überall Bürgerwiderstand gegen neue Stromleitungen gibt. Der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU) warf dem Grünen-Politiker Volker Beck vor, den Polizeieinsatz in Stuttgart zu verurteilen, obwohl er die Eskalation in Stuttgart nur im "warmen Sessel" in Berlin verfolgt habe.
Und Bundesumweltminister Norbert Röttgen warf Jürgen Trittin vor, in seiner Zeit als Umweltminister beim rot-grünen Atomausstieg selbst in Rotwein- und Zigarrenrunden mit den Konzernen die Sicherheit "verdealt" zu haben.
Gerade an der Person Röttgens zeigt sich das Ende des Tauwetters im Verhältnis von Union und Grünen und der Beginn einer neuen Eiszeit. Die Grünen sind enttäuscht, dass er die im Schnitt zwölf Jahre längeren Atomlaufzeiten mitträgt. Und Röttgen empfindet die Angriffe gegen ihn als Tatsachenverdrehung, weil er im Gegensatz zu Rot-Grün ein Mehr an Sicherheit bei den Atomkraftwerken schaffe. Dabei war er einer der ersten, der in den 90er Jahren in der Bonner "Pizza-Connection" mit Grünen-Abgeordneten die Überwindung der Sprachlosigkeit versuchte.
Die Grünen wollen nicht nur in Umfragen viel Zuspruch erfahren, sondern auch bei der Landtagswahl Ende März in Baden-Württemberg viele Wähler aus der Mitte gewinnen. Grünen-Chef Cem Özdemir weiß deshalb, dass sie beim Streit um Stuttgart 21 nicht überreizen dürfen. Er rudert am Wochenende auch deshalb zurück und entschuldigt sich bei Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus für die Unterstellung, der CDU-Politiker habe im Einsatz gegen die Stuttgart- 21-Demonstranten Blut sehen wollen.
Die Tür für Schwarz-Grün scheint derzeit geschlossen zu sein, die Grünen sehen gerade in Stuttgart keinen Ansatzpunkt für Gemeinsamkeiten mit der CDU. Parteichefin Claudia Roth betont: "Wir sehen eine unerträgliche Arroganz der Macht, die losgelöst von den Menschen und ihren Sorgen und Wünschen agiert."

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Sollten die Grünen bei der Wahl im Südwesten tatsächlich jenseits der 20 Prozent landen, könnte aber auch die Union wieder eine neue schwarz-grüne Annäherung suchen - denn angesichts eines Fünf- Parteien-Parlaments dürfte eine Koalition nur mit der FDP dort wie auch bundesweit künftig immer seltener funktionieren.