Schon ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder war der stabilen Ansicht: Mit Bild, Bams und Glotze sei im Zweifel das ganze Land im Griff zu halten. Viel mehr sei nicht nötig, komme, was da wolle: die eigene Partei, der Koalitionspartner, die Finsterlinge von der Opposition oder gar das murrende Volk. Nun hat auch die in äußerst schweres Wasser geratene Angela Merkel den direkten Weg über den Boulevard in die Herzen und Köpfe ihres verunsicherten (Partei-)Volks gewählt. Tenor auf anderthalb Seiten Bild-Interview: "Wir haben schon ganz andere Herausforderungen bewältigt".
Was stimmt - wir schon!
Nur, die Kanzlerin hat das noch nicht. Der Satz soll beruhigend wirken. Beruhigung aber sieht anders aus. Die Kanzlerin sediert eher mit Worthülsen. Als bescheidenen Erfolg kann sich immerhin verbuchen, den schwer mit seiner Jugendzeit menschelnden Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier mit seinem biographischen Vorabdruck in "Bild" auf Seite 14 verdrängt zu haben. Applaus für so viel kleines Karo!
Merkels persönliche Krise
Angela Merkel steht nicht nur vor der bislang größten Herausforderung ihrer Amtszeit (sie möge im Übrigen im Interesse des Landes am besten konfessionsübergreifend drei Rosenkränze beten, dass es wenigstens die größte bleibt), sie steht auch schwankenden Fußes mitten in ihrer ganz persönlich größten politischen Krise. Angela Merkel ist in doppelten Erklärungszwang geraten: Braucht es zwingend eine Politikerin ihren Typs, um eine um ihre eigene Identität ringende Volkspartei führen? Und: Hat sie als Regierungschefin das visionäre Rüstzeug, ein ganzes Land zielgerichtet durch diese Krise zu führen?
Für den schnellen Leser - Antwort 1: Nein, zwingend ist das nicht, andere könnten das auch. Antwort 2: Nein, auch nicht. Leider.
Beides hängt miteinander zusammen, was die Lage für Merkel nicht eben kommoder macht. Was sich derzeit rächt, ist ihr trotziger Dauerverzicht - erst dem Land und dann der Partei - ein stabiles Wertegerüst zu präsentieren. Das will sie nicht. Die Vermutung liegt indes recht nahe: Sie kann es nicht. Sie hat es nicht. Streng genommen hat sie das noch nie getan. Auf dem partei-internen Weg nach oben an die CDU-Spitze war das nicht gefragt, da reichten ein paar andere Qualitäten. Und auf dem Weg an die Macht auch nicht. Da reichte ein im Kampf mit dem eigenen Lager müde gewordener Gerhard Schröder, um im entscheidenden Moment knapp die Nase vorn zu haben.
Kein Satz bleibt hängen
Noch immer hat sich Merkel mehr am eigenen knochentrockenen Pragmatismus orientiert, denn an einem präzisen Gesellschaftsentwurf. Doch plötzlich reicht das nicht mehr aus. Die Frage nach Verstaatlichung, Enteignung gar, um zu retten, was zu retten ist? Bitte sehr, im Merkel-Deutsch liest sich das so: "Weil Politik mit der Betrachtung der Realität beginnt und wir handeln müssen, ist auch die CDU bereit, die für diesen Prozess notwendigen Entscheidungen zu fällen, die wir in normalen Zeiten nicht fällen würden". Das mag so sein - und ist denn doch ein bisschen dürftig. Da wirft, so scheint es, jemand gerade mit beiden Händen seine bisherigen Prinzipien über Bord, um nach seinen Interessen zu handeln. Kein Ziel wird definiert. Kein Danach ins Visier genommen. Ein erklärendes Wort wäre gut in diesen Zeiten, der Gelegenheiten dazu sind wahrlich genügend - doch nichts bleibt hängen. Kein Satz, kein Begriff.
Wie auch? In der Welt der Angela Merkel, in der bislang alles in Ordnung war, weil nicht nur die Sozis, sondern auch die Kontrahenten aus den eigenen Reihen auf Distanz gehalten werden konnten - in dieser Welt ist noch das Visionärste der Wunsch nach der Rückkehr zum status quo ante. Es ist die Rückkehr in eine - am liebsten - Bundesrepublik-alt, so, wie sie Merkel in den 90er Jahren kennen und schätzen gelernt hat, als Gegenentwurf zum abgehalfterten DDR-Sozialismus.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Eine Systemfrage
Und nun steht Angela Merkel vor der Frage, ob sie die Rückkehr in ein System befürworten soll, das sich in groben Zügen gerade selbst ad absurdum führt. Oder ob sie dabei Anleihen aus einem System übernehmen soll, das sie eigentlich überwunden geglaubt hatte. An solchen Fragen kann man schon mal scheitern.