DDR-Überwachungssystem "Gastarbeiter" bei der Stasi

Eine neue Studie der Birthler-Behörde beschreibt, wie die Stasi in der Bundesrepublik auch unter ausländischen Gastarbeitern gezielt Spitzel warb. Hauptaufgabe: ausreisewillige DDR-Bürger bespitzeln.

Zur Bespitzelung und Überwachung von DDR-Bürgern hat die Stasi nach neuen Erkenntnissen auch gezielt Ausländer angeworben und eingesetzt. "Diese Spione aus dem Westen sollten herausfinden und melden, wer die DDR verlassen wollte", sagte der Forscher Georg Herbstritt von der Stasi-Unterlagenbehörde in einem dpa-Gespräch. Rund fünf Prozent der zuletzt etwa 3500 in der Bundesrepublik und West-Berlin tätigen Inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren nach den neuen Recherchen Ausländer.

Die Stasi habe besonders die im damaligen West-Berlin lebenden Türken im Blick gehabt, sagte Herbstritt. In den 80er Jahren seien monatlich rund 6000 von ihnen mit Tagesvisa nach Ost-Berlin gekommen. Sie seien von der Stasi auch als Bedrohungspotenzial empfunden worden. Junge Frauen hätten in Kontakten zu türkischen Männern und einer Heirat auch eine Möglichkeit gesehen, aus der DDR herauszukommen. "Da wollte die Stasi dazwischengehen", sagte der Historiker. Bis zu einem Viertel der Geheimdienstkapazitäten seien gebunden gewesen, um Ausreisen von DDR-Bürgern zu verhindern.

Verwaltungsangestellte und Landespolitiker als Informanten

Die Stasi habe sich auch für die inneren Belange türkischer Gruppen in West-Berlin interessiert und dort auch IMs geworben, betonte Herbstritt. Daneben hätten neben Verwaltungsangestellten auch Landespolitiker das MfS über deutsch-türkische Verhandlungen und bilaterale Verhandlungen geheim informiert.

"Die Stasi unter Erich Mielke hatte ein unglaublich ausgeprägtes Feindbild und sah überall Gegner. Deshalb wollte sie auch in alle Bereiche eindringen", stellte Herbstritt fest. Je mehr Ausländer in der Bundesrepublik lebten, desto mehr habe sich die Stasi für sie interessiert.

Spätestens seit dem Tod eines türkischen Anhängers des West-Berliner SED-Ablegers SEW bei einer Straßenschlacht zwischen rivalisierenden türkischen Gruppen in Kreuzberg im Januar 1980 beobachtete die DDR-Führung "faschistisch-nationalistische, rechtsradikale und religiös-fanatische Tarnorganisationen" der türkischen Diaspora in Westdeutschland genauestens.

Ausländer als Sicherheitsrisiko

Zwar gab es in der DDR gerade einmal 94 Türken, doch 38 davon waren Funktionäre der am Bosporus verbotenen Türkischen Kommunistischen Partei. Die saß in Leipzig, betrieb mit SED-Geld einen eigenen Radiosender nebst Druckerei und galt als potenzielles Anschlagsziel politischer Gegner. Auch fürchtete die DDR angesichts der 40 000 Türken, die jährlich über den Flughafen Berlin-Schönefeld in die Heimat reisten, das Risiko von Flugzeugentführungen durch Extremisten. Um "leichter oder überhaupt erst" in die "Konspiration feindlicher Ausländer bzw. Ausländergruppen eindringen" zu können, setzten die Stasi-Chefs folglich voll auf die IMA - trotz merklicher Skepsis bei den eigenen Hauptamtlichen.

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