Deutsche Einheit Der Fall der Sprachmauer

Langsam wächst auch sprachlich zusammen, was zusammengehört. 1990 stiftete schon ein Wort wie "Partner" Verwirrung zwischen "Ossis" und "Wessis". Erhalten geblieben sind "Trotzworte gegen die westdeutsche Überflutung".

Noch immer holt sich der Wessi im Supermarkt ein Brathähnchen, der Ossi aber in der Kaufhalle einen Broiler. Dennoch sind die Forscher sicher: 15 Jahre nach dem Ende der DDR sind Ost und West sprachlich zusammengewachsen. "Es gibt keine Sprachmauer mehr", konstatiert der Linguist Manfred Hellmann. "Kommunikation zwischen Ost- und West-Bürgern muss heute nicht mehr an unbekannten Wörtern oder Wörtern in unbekannter Bedeutung scheitern." Zwar sind die Unterschiede nicht verschwunden, doch sie behindern das Verstehen nicht mehr: "Dass der sprachliche Ausgleich geschafft ist, ist vor allem eine Leistung der Ostdeutschen."

"Kollektiv" statt "Team"

Dabei waren in 40 Jahren der Teilung die Barrieren gewachsen. 1990 stiftete schon ein Wort wie "Partner" Verwirrung zwischen ost- und westdeutschen Kollegen: Der eine meinte den Geschäftsfreund, der andere den Teilhaber. Ost-Mitarbeiter gerieten bei ihren aus dem Westen stammenden Chefs in SED-Verdacht, wenn sie - ganz ohne politische Hintergedanken - "Kollektiv" statt "Team" sagten. Ostler fanden es dagegen komisch, zu einer "Besprechung" gebeten zu werden, denn das hörte sich für sie nach esoterischer Warzenentfernung an. Eine betriebliche Unterredung hieß in der DDR "Beratung".

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Die Unterschiede betrafen vor allem das Vokabular von Politik und Wirtschaft, das der Osten mit der kommunistischen Staatsform importiert hatte. Abseits davon blieb die Sprache hinter dem Eisernen Vorhang viel konservativer als im Westen, der seinen Wortschatz mit Übernahmen aus dem Englischen kräftig vergrößerte: "Das BRD-Deutsch hatte sich viel weiter vom gemeinsamen Ausgangspunkt entfernt", sagt der Frankfurter Germanist Horst Dieter Schlosser. Als die Mauer fiel, kam auf die Ostdeutschen mit Demokratie und Marktwirtschaft auch jede Menge sprachlicher Nachholbedarf zu. Selbst dieses Wort klang für sie ungewohnt: In der DDR hatte man von "Nachholbedarf" gesprochen.

15 Jahre später ist klar: Der sprachliche Ausgleich verlief vornehmlich in eine Richtung. Zu den wenigen Ausnahmen zählen "ich habe das mal angedacht" und "abnicken". Für Hellmann sind sie die erfolgreichsten Übernahmen aus dem ostdeutschen Sprachgebrauch. Karriere machte auch der "runde Tisch", der als Bezeichnung für ein festes Verhandlungsforum in den letzten Tagen der DDR aufkam und seitdem immer wieder in vielen Zusammenhängen verlangt wird. Andere Wörter änderten ihre Bedeutung: "Wende" meinte vor 1989 den Bonner Regierungswechsel von 1982, den "Wessi" hatten die Westberliner für die Westdeutschen erfunden, und "abwickeln" hatte noch nicht den Beiklang von Jobvernichtung, den es nach der Einheit gewann.

Sprache "platt gemacht"

Und manches verschwand. Die "Jahresendflügelfigur" (angeblich für Weihnachtsengel) zählte allerdings nicht dazu - sie gab es ohnehin nur in westdeutschen DDR-Witzen. Doch Schlosser erinnert sich noch an Ost-Texte mit Verben wie "barmen" und "erheischen", die Westler schon damals hoffnungslos altmodisch fanden: "Es gab dort Einiges, was unsere Sprachkultur hätte bereichern können. Insofern kann man den Ausdruck "platt machen" auch auf die Sprache anwenden."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Es gab jedoch Gegenreaktionen. Schon bald nach der Wende priesen die ersten Ostberliner Grillbuden wieder ihre - vermutlich über das Bulgarische ins DDR-Deutsch eingeführten - "Broiler" an. Schlosser sieht darin "geradezu ein Trotzwort gegen die westdeutsche Überflutung". Auch "Kaufhalle" und "Verkaufsstelle" (statt "Filiale") leben im Osten fort und helfen bei der Bewahrung der Identität.

Solche sprachlichen Ost-West-Differenzen sind jedoch geringer als die historischen Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutsch. Wenn es heute noch zu Missverständnissen kommt, beruhen sie nach Hellmanns Ansicht nicht auf der Sprache, sondern auf unterschiedlichen Mentalitäten oder gegenseitigen Vorbehalten: "Sie sind eher ein Gegenstand der Sozialpsychologie als der Linguistik."

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Wolfgang Harms/DPA