Fried – Blick aus Berlin Das ist Merz' Markenzeichen

Friedrich Merz auf dem Weg zu den Sondierungsgesprächen im Jakob-Kaiser-Haus
Braucht eine Koalition und viel Kohle: Friedrich Merz
© Kay Nietfeld / DPA
Koalitionsgespräche: Friedrich Merz verhandelt mit der SPD um viel Geld. Plötzlich will der Kandidat Schulden machen, von denen er im Wahlkampf noch nichts wissen wollte.

Jetzt sind wieder Koalitionsverhandlungen. Hach ja, als Parlamentsreporter, der schon länger dabei ist, wird man da schnell sentimental. Koalitionsverhandlungen, das bedeutete tage-, manchmal nächtelanges Warten. Aber es hat sich oft gelohnt, weil irgendwann schöne Geschichten nach außen drangen.

Was Friedrich Merz und Angela Merkel gemeinsam haben

2005 zum Beispiel, als Angela Merkel in einer Situation war wie heute ihr, nun ja, Parteifreund Friedrich Merz. Auch die CDU-Chefin musste eine große Koalition zusammenzimmern, von der Gerhard Schröder bekanntlich noch am Wahlabend gesagt hatte: niemals. Für die Verhandlungen im Konrad-Adenauer-Haus legte die CDU einen Weinvorrat an. Die Flaschen lagerten in Kühlschränken mit Glastüren, einige hatte der designierte Verteidigungsminister Franz Josef Jung vom Weingut seines Bruders im Rheingau mitgebracht.

Wenn die Idee dahinter war, den bisherigen Kanzler milde zu stimmen, so ging sie auf: Schröder zeigte bald für die Weine mehr Interesse als für die Verhandlungen. Er klopfte Franz Josef Jung, dessen Namen er vergessen hatte, kumpelhaft auf die Schulter und fragte beim Blick durch die Glastüren: "Na, Verteidigungsminister, was haben wir denn da?" Worauf Jung, der neu war in der Berliner Politik, sich freute und mit Schröder Wein verkostete.

Aus den weiteren Verhandlungen ist von Schröder nur noch ein inhaltlicher Beitrag kolportiert. In der Debatte, ob man die Mehrwertsteuer nun von 16 auf 18 oder 19 Prozent erhöht, soll er, möglicherweise vom kühlen Weißwein sanft beflügelt, 20 Prozent vorgeschlagen haben, weil das am einfachsten zu rechnen sei.

Die Suche nach Geld, die dieser Tage auch die Gespräche der Merz-CDU und der Klingbeil-SPD dominiert, steht immer am Anfang. 2002, als SPD und Grüne überraschend noch einmal gewonnen hatten, präsentierte Finanzminister Hans Eichel den Kassensturz. Seine roten Zahlen ergänzte er mit Vorschlägen, wie die Löcher zu stopfen seien, zum Beispiel über höhere Mehrwertsteuersätze auf Katzenfutter und Schnittblumen, bis ein völlig genervter Schröder ihm den legendär gewordenen Satz zuraunzte: "Lass mal gut sein, Hans."

Merz und Klingbeil wären froh, wenn sie nur die Haushaltslöcher von Schröder oder später Merkel zu füllen hätten. Heute fehlen einige Milliarden Euro allein im Etat für 2025, es fehlt Geld für mehr Ukraine-Hilfe, für die Modernisierung Deutschlands und in den nächsten Jahren auch für Rüstungsausgaben. Um an dieser Stelle einmal ernst zu werden: Olaf Scholz hat all das seinem Herausforderer Merz während des Wahlkampfs in jeder Fernsehrunde vorgerechnet und gefragt, wie der CDU-Chef dafür bezahlen wolle, worauf Merz keine Antwort hatte, außer vielleicht Kürzungen beim Bürgergeld und weniger Migration. Von neuen Schulden war keine Rede.

Jetzt zeichnet sich ab, dass Union und SPD sich Hunderte Milliarden Euro im Eilverfahren durch neue Schulden besorgen, die nicht Schulden heißen werden, sondern Vermögen. Das ist semantisch irreführend und juristisch fragwürdig, aber politisch erhellend, weil des mutmaßlich nächsten Kanzlers vollmundige Ankündigungen mal wieder mit der Wirklichkeit in Konflikt geraten. Das ist schon Merz’ Markenzeichen, bevor er überhaupt Kanzler geworden ist.

Die Geschichten aus den Koalitionsverhandlungen sind mithin auch nicht mehr das, was sie mal waren. Oder wie schon Andrea Nahles 2013 mit Blick auf die Gespräche 2005 feststellte: "Da gab es wenigstens Alkohol."

Erschienen in stern 11/2025