Es sieht aus wie eine Szene aus "Herr der Ringe": Kleine Gruppen ziehen durch die Hügellandschaft rund um Bad Doberan, bunt und Fahnen schwenkend die Demonstranten, weiß behelmt die Polizei. Dazwischen galoppieren ein paar Rinder. Im Zickzackkurs lotsen die Gruppenführer ihr jeweiliges Gefolge durch das Gelände, über Zäune, durch Wassergräben und dann haben die Demonstranten tatsächlich ihr Ziel erreicht: Die wichtigsten Zufahrten zum eingezäunten Sperrgebiet um Heiligendamm. Jetzt heißt es Hinsetzen und Abwarten.
Tagelang hatten die Initiatoren der Blockade-Gruppe "Block-G-8" dieses Verfahren in den Camps von Reddelich, Rostock und Wichmannsdorf geprobt, in unzähligen Plenumssitzungen und Trainingsgruppen immer wieder die grundlegenden Prinzipien erklärt: Jeder Demonstrant schließt sich einer Bezugsgruppe an, mehrere Bezugsgruppen bilden einen "Finger". Denn wie "Finger" einer Hand sollten sie sich aufteilen, um ein möglichst großes Gebiet zu umfassen. Wer rückt wohin auf? Welche Gruppe ist bereit, sich an vorderster Front der Polizei zu stellen? Wer bleibt lieber im Hintergrund? Wer blockiert im Sitzen, wer im Stehen? Wer lässt sich bei einer eventuellen Räumung wegtragen oder geht lieber freiwillig - all das wurde sorgfältig geplant und diszipliniert befolgt.
Nüchtern und ausgeschlafene Demonstranten
"Die gehorchen ja fast besser als wir", scherzt ein Polizist am Rande der Sitzblockade, als er die Kommandos der einzelnen Gruppenführer hört: "Aufschließen!", "Lücke zu machen!" oder "Plenum!" Und enorm diszipliniert sind sie tatsächlich, die Demonstranten - am Vorabend der Blockade herrscht in den Camps sogar Bierverbot. Verschlafen oder verkatert wird das schließlich nichts, mit dem Einsatz.
Am Vorabend der Blockade herrscht aber auch große Skepsis gegenüber der "Finger-Taktik". "Viel zu viel Gelaber", sagt eine junge Berlinerin, die mit ihren Leuten lieber "mehr Aktion" machen würde, ohne Bezugsgruppe. Aber wie und wo? Das Gelände rund um den begehrten Zaun ist so weitläufig, dass auch sie nicht so richtig weiß, wo man da ansetzen könnte. Stundenlanges Rumlatschen? Nee, danke. Dann doch lieber mit dem offiziellen Blockade-Team los.
Abwarten und Wasser trinken
Drei Massenblockaden mit Tausenden von Teilnehmern wurden schließlich errichtet, in der Lindenallee in Bad Doberan stehen die Demonstranten direkt vor dem Schutzzaun und versperren eines der beiden Durchgangstore. "Alter, wir sind hier echt am Zaun" telefoniert einer begeistert seinem Freund durch, der sich einem anderen Blockade-Team angeschlossen hat. "Wie isses bei euch?". Auch der Freund ist durchgekommen, nach Börgerende, wo die Polizei angeblich bereits Wasserwerfer einsetzt. Hm. An der Lindenallee vor der Galopprennbahn ist die Polizei mit großem Aufgebot präsent, aber alles bleibt vollkommen ruhig. Hubschrauber kreisen über den Feldern, landen, setzen weitere Einsatzkräfte ab. Man steht sich gegenüber.
Abwarten, Wasser trinken. Ab und zu sorgt ein gebrülltes "Steinaufnahme" für Bewegung. Weiter hinten beginnen schwarze Kapuzenträger in aller Seelenruhe, den Stacheldrahtzaun zum angrenzenden Wald wegzuräumen. Kurze Zankerei unter den Demonstranten. Soll man das jetzt tolerieren oder nicht? Doch auch innerhalb der Blockierer setzt man anscheinend auf Deeskalation. Solange keine Steine fliegen, sollen die Schwarzen ruhig machen. Am Ende erweist sich die illegale Zaunräumung sogar als großer Dienst an die gesamte Gruppe: Irgendwohin muss man ja auch mal zum Pinkeln verschwinden. In Börgerende, wo die Blockade mitten im Wohngebiet stattfindet, macht genau das Probleme: Es gibt zwar ein Dixiklo, aber das ist in Privatbesitz und wird von der Polizei verriegelt, genau wie ein privater Wasseranschluss. Bleibt nur ein Kornfeld.
Pinkler im Vorgarten sind unerwünscht
"Ihr tretet hier alles platt und pinkelt alles voll", rügt eine Polizistin. "Wir müssen das hier irgendwann auflösen, so geht das nicht". Ein paar Anwohner stellen verständnisvoll ihr Privat-WC zu Verfügung, aber Lust auf Pinkler im Vorgarten haben sie auch nicht. Kann man verstehen, finden die Demonstranten. Gegen 22 Uhr gehen die meisten nach Hause, ein kleiner Kern bleibt über Nacht. Friedlich, aber bestimmt wollten sie blockieren - und bisher ist dieser Plan erfolgreich aufgegangen. Auch, weil sich die Polizei trotz gelegentlicher Spannungen kompromissbereit zeigte und sich bisher nicht dazu entschlossen hat, die Blockaden massiv zu räumen. In den Camps ist man zufrieden, an diesem Mittwochabend. Und Bier gibt es diesmal auch.