Renate Künast machte nicht viele Worte nach dem Treffen mit Vertretern fünf islamischer Verbände. Die Meinungsfreiheit müsse verteidigt werden. "Das ist die einhellige gemeinsame Position." Die Drohungen gegen die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz sollten nun ein Ende haben, hoffte Künast. Beim Stein des Anstoßes freilich, der Rolle des Kopftuchs für Musliminnen, seien die "unterschiedlichen Positionen geblieben.
Das Leben für die deutsche, türkischstämmige Grünen-Abgeordnete ist nicht mehr, wie es war, bevor sie muslimische Frauen in Deutschland dazu aufrief, aus freien Stücken ihr Kopftuch abzulegen. Das Kopftuch ist für die im türkischen Tokat geborene Migrations- und Kinderpolitikerin "ein Symbol der Frauen-Unterdrückung". Teils anonym, teils mit Namen kamen Anfeindungen, per Brief und Mail, aber auch öffentlich. Darunter waren auch Morddrohungen.
Provokation oder Selbstverständlichkeit?
Die Großmutter der 35-Jährigen war in der anatolischen Heimat die erste Stadträtin. Deligöz allein erziehende Mutter wanderte 1979 mit der Tochter nach Schwaben südlich von Ulm aus. Deligöz selbst heiratete nach ihrem Studium in Konstanz und Wien einen Schwaben und wurde 1997 Deutsche. Gemessen an ihrem eigenen Leben zielt ihr Appell also auf Selbstverständlichkeiten der Emanzipation ab. Gemessen an manch patriarchalischen Vorstellungen bei Türkischstämmigen in Deutschland und bei fundamentalistischen Muslimen weltweit war Deligöz’ Appell eine Provokation.
Die fünf Verbandsvertreter waren sich denn auch einig, dass die Meinungsfreiheit gewahrt werden müsse. "Wir machen alles, um Deligöz zu schützen", sagte Mounir Azzaoui. Der Pressesprecher war als Vertreter des Zentralrats der Muslime gekommen. Inhaltlich sei der Zentralrat freilich anderer Meinung. Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats, brachte den Dissens auf den Punkt: "Das Kopftuch ist ein religiöses Gebot." Es gelte unabhängig von Ort und Land.
Deligöz unter Personenschutz
Nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh durch einen Islamisten in den Niederlanden, nach den Gewaltausbrüchen wegen Mohammed-Karikaturen in Dänemark ist Vorsicht geboten. Zwei Personenschützer des Bundeskriminalamts sind derzeit immer in Deligöz’ Nähe. Auch "die kleinen Sachen des Lebens", nämlich mit der Familie auf die Straße zu gehen, "haben sich komplett verändert", sagt die Politikerin.
Dafür erreichte Deligöz am Dienstag eine Welle der Solidarität aus der Union. CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble, CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) und Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) versprachen der Grünen in Interviews und Erklärungen ihre Unterstützung. Nur die türkische Regierung, die von Künast aufgefordert worden war, sich von "Medienhetze" gegen Deligöz in der Türkei zu distanzieren, zeigte keine Reaktion.

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28 islamistische Organisationen in Deutschland
Nach dem jüngsten Verfassungsschutzbericht sind 28 islamistische Organisationen in Deutschland aktiv. Dies ist zwar nur ein Bruchteil der Muslime, die hier zu Lande immerhin drei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Aber mit rund 32.000 Menschen haben die Gruppen nach Warnungen des Verfassungsschutzes durchaus das Potenzial, die Sicherheit in Deutschland zu gefährden. Um die moderaten Kräfte des Islam in Deutschland zu stärken, verfolgen die Grünen seit längerem die Strategie der Einbindung. "Wir brauchen mindestens eine repräsentative Vertretung der Muslime in Deutschland, der dann auch die vollen Rechte aus unserem Religionsverfassungsrecht gewährt werden können", sagt Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck.