Michael Buback Sohn von RAF-Opfer: "Man muss sich ernsthafte Sorgen um die Qualität deutscher Ermittlungen machen"

Michael Buback
Michael Buback, Chemiker und Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. (Archivbild)
© Michael Gottschalk / ddp / Picture Alliance
Michael Buback verlor seinen Vater bei einem Attentat der RAF. Hier erzählt der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, wie er den aktuellen Fahndungskrimi um Daniele Klette und ihre Komplizen erlebt, welche Erinnerungen er an den Tag hat, als sein Vater umgebracht wurde – und wie er einmal zufällig eine RAF-Terroristin auf dem Bahnhof traf.

Haben Sie es für möglich gehalten, dass die Ermittler die RAF-Terroristin Daniela Klette nach mehr als 30 Jahren vergeblicher Suche doch noch aufspüren können?
Meine Vermutung war, dass sich die drei gesuchten ehemaligen Terroristen vorwiegend im Ausland aufhalten. Dass Frau Klette über Jahrzehnte unerkannt in Deutschland lebte, ist überraschend für mich. Dieser Umstand wird nun sicher untersucht werden. Immerhin, es gab einige hartnäckige Fahnder, die schließlich Erfolg hatten.

Ein kanadischer Journalist hatte Klette schon vor Monaten mithilfe einer Software per Gesichtserkennung gefunden – und brauchte dafür nur 30 Minuten. Haben Sie noch Vertrauen in die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden? Auch nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Mord an Ihrem Vater?
Mir ist nicht bekannt, ob dem kanadischen Journalisten ein Zufallstreffer gelang. Wenn eine gezielte Suche tatsächlich nur 30 Minuten beansprucht, muss man sich allerdings ernsthafte Sorgen um die Qualität deutscher Ermittlungen machen. Solche Sorgen gibt es ja bereits in Verbindung mit den 34 der RAF zugerechneten Morden, von denen nur der am damaligen Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, vollständig geklärt ist. Dabei hatte allerdings die Ehefrau des Opfers das Verbrechen beobachtet. Die Täter waren somit ohne besonderen Ermittlereinsatz bekannt.

Glauben Sie, dass Klette jetzt "reinen Tisch macht" und auspackt über innere Strukturen der RAF, vielleicht sogar zur Aufklärung von Taten beiträgt? Möglicherweise sogar zur Aufklärung des Mordes an Ihrem Vater?
Ich befürchte, dass sie das nicht tun wird, sondern, dass sie vermutlich dem Beispiel anderer ehemaliger Terroristen folgen wird und weder sich noch andere belastet oder Angaben über die innere Struktur der RAF machen wird. Über die Ermordung meines Vaters und seiner Begleiter hat sie möglicherweise gar keine Kenntnisse.

Nach der Festnahme von Klette zeigt sich: Die Themen RAF, "deutscher Herbst" und Linksterrorismus bewegen die Menschen immer noch sehr stark, sie sind im kollektiven Unterbewusstsein offenbar immer präsent geblieben. Hat Sie das überrascht? 
Wenn man die damalige Zeit erlebt hat, als die Gefahr bestand, dass die RAF die Bundesrepublik in größte Nöte bringt, ist es erstaunlich, wie wenig öffentliches Interesse diesem Komplex gewidmet wird. Nach der Festnahme von Frau Klette ist das Interesse wieder aufgeflackert, aber es bleibt abzuwarten, wie lange die neue Befassung mit der RAF anhält. Eigentlich müsste bereits die Tatsache, dass nahezu alle RAF-Morde nicht aufgeklärt sind, zu einem dauerhaften Thema werden. So ist es aber nicht. Meine Frau und ich haben zum Karlsruher Attentat das Buch "Der General muss weg!" verfasst, in dem der hoch interessante Prozess gegen Verena Becker geschildert ist. Das Buch wird jedoch von den Leitmedien weitestgehend ignoriert und es erreicht das Unterbewusstsein nicht.

Sie kritisieren, dass von 34 Morden, die der RAF zugeschrieben wurden, bis heute nur einer vollständig ausgeklärt ist. Das würde heißen: Zahlreiche Täter, die Menschen umgebracht und Familien zerstört haben, leben immer noch unbehelligt weiter, vielleicht sogar mitten unter uns. Was empfinden Sie bei diesem Gedanken?
Das ist ein sehr unangenehmer Gedanke, der zudem mein Rechtsempfinden erschüttert. Es ist doch eine Pflicht des Rechtsstaats, Verbrechen aufzuklären, vor allem, wenn sie von Terroristen begangen worden sind, vor denen der Staat sich und seine Bürger schützen will.

Auch heute – über 45 Jahre nach dem Attentat auf Ihren Vater – ist nicht zweifelsfrei geklärt, wer genau die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Hoffen Sie immer noch, dass dieser Mord zweifelsfrei aufgeklärt werden kann?
Meine Frau und ich haben inzwischen ein sehr klares Bild von den Karlsruher Attentätern erlangt, das unseren Ansprüchen voll genügt. Leider steht aber die offizielle Klärung aus. Wir wissen jetzt, dass die wirklichen Täter für die Morde dauerhaft straffrei bleiben werden und dass andererseits die für das Karlsruher Verbrechen zu Lebenslänglich Verurteilten gar nicht am Tatort waren. Das sind sehr bittere Erkenntnisse, wie auch die Tatsache, dass es Kooperationen zwischen dem Verfassungsschutz und einer Terroristin gab. Dies führte dazu, dass wir Nebenkläger in eine geradezu absurde Hauptverhandlung gegen die RAF-Terroristin Verena Becker involviert waren, in der eine als geheime Informantin des Verfassungsschutzes zweifellos mit Schutzzusagen ausgestattete Frau von einer anderen staatlichen Stelle, der Bundesanwaltschaft, als Karlsruher Mittäterin angeklagt wurde. Solche Prozesse führen nicht zur Klärung.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie habe Sie den Tag in Erinnerung, an dem Ihr Vater ermordet wurde?
Mit meiner Frau, die an einem Karlsruher Gymnasium unterrichtete, war ich in den Osterferien zum Skifahren in Zermatt. Dort erhielt meine Frau die Nachricht von ihrem Vater. Sie teilte mir die Ermordung meines Vaters mit, als ich am Abend ins Hotel zurückkehrte und noch nichts wusste. Es war eine sehr schwere Aufgabe für sie.

Hatten Sie vorher schon Angst um Ihren Vater? War Ihnen klar, wie gefährdet er ist?
Als ich noch ein Kind war, hatte ich Angst um meinen Vater, der nahezu in seinem gesamten Berufsleben mit Staatsschutzverfahren betraut wurde, bereits als Staatsanwalt in Lüneburg. Die Zonengrenze war nicht weit und ich befürchtete, die Stasi könne etwas gegen ihn unternehmen. Später war ich beruflich so eingespannt, dass für ängstliche Gedanken kaum Zeit blieb. Auch vermittelte uns mein Vater stets den Eindruck von Zuversicht und Gelassenheit.

Wissen Sie eigentlich, warum man damals so fahrlässig war, Ihren Vater ohne Begleitfahrzeug, ohne Personenschutz, in einem nicht gepanzerten Wagen nach Karlsruhe zu seinem Arbeitsplatz fahren zu lassen?
Das weiß ich nicht. Es handelt sich zweifellos um eine Fehleinschätzung der für den Schutz verantwortlichen Personen. Feststeht, dass mein Vater in die höchste Gefährdungsstufe eingruppiert war und dass Fachleute die Maßnahmen für seinen Schutz festzustellen und umzusetzen hatten. Keinesfalls war das Aufgabe meines Vaters. Ansinnen, den verordneten Schutz nicht anzunehmen, waren, wie die entsprechende Polizeidienstverordnung besagt, sogar abzulehnen. Uns verletzte es deshalb, dass der zuständige Innenminister von Baden-Württemberg nach dem Attentat den Eindruck erweckte, mein Vater habe Schutz nicht angenommen, was falsch ist. Der Schutz war zu gewährleisten und nicht durch Abruf anzufordern.

Daniela Klette gehörte zur sogenannten dritten Generation der RAF. Diese tötete mit kalter, geradezu chirurgischer Präzision. Oft wird diesem Teil der RAF vorgeworfen, es sei ihr nur ums nackte Morden gegangen, ohne jede politische Motivation. Wie stehen Sie zu dieser Sichtweise?
Es ist zu hoffen, dass diese Aspekte in Vernehmungen von Frau Klette geklärt werden können, denn es gibt ja recht unterschiedliche Ansichten über die dritte Generation. Manche haben ja sogar Zweifel an ihrer Existenz oder können sich nicht vorstellen, dass RAF-Mitglieder in der Lage waren, mit solch hoher technischer Präzision vorzugehen.

Sie haben immer wieder kritisiert, dass ehemalige Terroristen der RAF so gut wie nie Empathie oder Mitleid mit den Familien der Opfer gezeigt haben. Warum, glauben Sie, ist es so schwer für diese Menschen, zu sagen: "Ich habe Dir den Vater genommen, bitte verzeih‘ mir"?
Diese Frage sollte besser RAF-Tätern gestellt werden. Ich kann mir nur vorstellen, dass man aufgrund der damaligen Hetze und dem engen Umfeld von Gleichgesinnten meinte, berechtigte Gewalttaten zu begehen. Es ist dann später wohl schwierig, diese Verbrechen als schweres Unrecht anzusehen, da man dann gleichsam besondere Aktionen des eigenen Lebens verurteilen würde und seiner Lebensgeschichte eine tragfähige Basis entzieht.

Manche ehemalige Angehörige der RAF sagen: "Ich möchte über die Zeit bei der RAF nicht mehr reden. Ich habe jetzt ein neues Leben." Wie wirkt das auf Sie?
Das kann ich zwar verstehen, denn es gibt sicher bei manchen auch Scham über das, was sie angerichtet haben. Ich hielte es aber für besser, wenn man das Wissen, das für Ermittler und auch für Angehörige der Opfer wichtig ist, mitteilt.

Eine der wenigen Ausnahmen war Peter-Jürgen Boock, einer der zentralen Tatbeteiligten im sogenannten "Deutschen Herbst". Boock hat zu Ihnen Kontakt aufgenommen. Wie lief dieser Kontakt? Hat Boock Sie schlicht per Telefon angerufen? Und wie haben Sie die Gespräche mit ihm in Erinnerung?
Boock hatte 2007 meinen Wunsch gehört, zu erfahren, wer von den uns genannten Tätern meinen Vater erschossen hat. Er rief mehrfach bei uns an, um mir seine Kenntnisse mitzuteilen, erreichte mich aber nicht, da ich eine Gastprofessur in Neuseeland innehatte. Er teilte mir, nachdem ich zurück war, als Erster mit, dass die wegen des Karlsruher Attentats Verurteilten nicht die wahren Täter seien. Diese für mich geradezu ungeheuerliche Nachricht konnte und wollte ich zunächst nicht glauben. Sie bewahrheitete sich dann aber. Es hat sich herausgestellt, dass die wirklichen Karlsruher Täter für die Morde keinen Tag in Haft waren und sie wegen der "Ne bis in idem"-Regel* auch nie mehr dafür verurteilt werden können.

Angenommen, die jetzt festgenommene Daniela Klette wäre zu einem Gespräch mit Ihnen bereit. Würden Sie darauf eingehen?
Das würde ich sicher tun, vor allem, wenn Frau Klette Hinweise zum Karlsruher Attentat geben kann. Ich habe während des Stuttgarter Prozesses sogar Frau Becker, als ich sie zufällig auf dem Stuttgarter Bahnhof traf, angeboten, mit ihr zu sprechen. Sie hat das Angebot aber nicht angenommen. 

Was würden Sie von ihr erwarten?
In erster Linie natürlich Hinweise zum Karlsruher Attentat, aber auch andere Informationen zum Phänomen RAF, bei dem noch so vieles im Dunkeln liegt. Noch wichtiger wäre es, dass Frau Klette den zuständigen Ermittlern sachdienliche Hinweise zur RAF geben würde.

*) Rechtsgrundsatz, nach dem niemand für dieselbe Tat zweimal vor Gericht gestellt werden darf

Zur Person: Michael Buback (79) ist der Sohn des früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback, der im April 1977 bei einem Attentat in Karlsruhe von der Roten Armee Fraktion (RAF) getötet wurde. Buback kämpfte jahrelang darum, dass die näheren Umstände des Mordes an seinem Vater aufgeklärt werden. Wer damals tatsächlich die tödlichen Schüsse abgab, ist bis heute unbekannt. Verurteilt wurden Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt, doch ob sie wirklich die Täter waren, ist nach wie vor ungewiss. Michael Buback schrieb über seine akribische Suche nach den wahren Tätern zusammen mit seiner Frau Elisabeth ein Buch, Titel: "Der General muss weg."