stern-Umfrage zur Entkriminalisierung der Prostitution Mehrheit will Bestrafung von ausbeuterischen Zuhältern

Die Menschenrechtler von Amnesty International werden kritisiert, weil sie weltweit für die Entkriminalisierung von Prostituierten, aber auch von Zuhältern oder Bordellbetreibern kämpfen wollen. Nur eine Minderheit der Bundesbürger befürwortet diesen Beschluss, die Mehrheit favorisiert das deutsche Modell. 

 Die Generalsekretärin von Amnesty International (AI), Salil Shetty, sprach von einem "historischen Tag", als die Mehrheit des Internationalen Rats der Menschenrechtsorganisation in der vergangenen Woche in Dublin beschloss, für eine weltweite "Entkriminalisierung aller Aspekte der einvernehmlichen Sexarbeit" kämpfen zu wollen. Entkriminalisiert werden sollen nicht nur Prostituierte, sondern auch deren Zuhälter oder Bordellbetreiber.

Was das Risiko von Übergriffen senkt

Vor dieser Grundsatzentscheidung waren zahlreiche Betroffene angehört worden, darunter auch 200 Prostituierte aus verschiedenen Ländern. Dabei ist herausgekommen, dass Prostituierte vor allem dort, wo das Geschäft mit käuflichem Sex verboten ist, deutlich mehr unter Gewalt, Ausbeutung und Stigmatisierung zu leiden hätten. "Eine Entkriminalisierung des Sexgewerbes führt dazu, dass Prostituierte mit ihrer Arbeit nicht mehr gegen Gesetze verstoßen", teilt Amnesty International mit – das senke das Risiko von Übergriffen auf Prostituierte, auch von offiziellen Stellen.

Das Bündnis Koalition gegen Frauenhandel (CATW) protestierte in einem Offenen Brief, den auch prominente Schauspielerinnen wie Kate Winslet und Meryl Streep unterzeichneten, schon gegen die AI-Entscheidung, bevor sie in Dublin getroffen war. Zum Schutz der Ausgebeuteten müsse man nicht auch noch deren Ausbeuter entkriminalisieren, sagte CATW-Chefin Taina Bien Aime. Die feministische „Emma“ kommentierte, mit einer Nicht-Verfolgung von Frauenhändlern, Zuhältern und Bordellbetreibern liefere Amnesty Prostituierte nur noch stärker aus. "Dass Amnesty Zuhältern nicht verbieten will, was Prostituierten erlaubt sein soll, ist bitter, aber konsequent", schreibt dagegen Constanze von Bullion in der "Süddeutschen Zeitung" – hilfreich sei nur die konsequente Trennung zwischen freiwilliger Prostitution und verbotenem Menschenhandel.

"In unserer Position geht es nicht darum, Zuhälter_innen zu schützen", wird auf der Amnesty-Website erklärt. "Dritte, die Sexarbeiter_innen ausbeuten oder misshandeln, werden nach dem von uns vorgeschlagenen Modell auch weiterhin strafrechtlich verfolgt." Wer aber will feststellen, ob ein Zuhälter in Papua-Neuguinea oder ein Bordellbetreiber in Thailand Prostituierte ausbeutet oder nicht?

Was in Deutschland ungesetzlich ist

In Deutschland droht dem, der "gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Prostitution nachgehen und in dem diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden", eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Nach Paragraf 180 a des Strafgesetzbuchs wird ebenso bestraft, wer "eine andere Person, der er zur Ausübung der Prostitution Wohnung gewährt, zur Prostitution anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet". Mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, "wer eine andere Person, die der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder seines Vermögensvorteils wegen eine andere Person bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die sie davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben".

Das bloße Betreiben eines Bordells sei aber auch dann nicht strafbar, wenn es die Prostitution fördere, schreibt der Karlsruher Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Rechtskolumne auf "Zeit Online": "Vielmehr können Betreiber und Prostituierte ganz normale (sozialversicherungspflichtige) Arbeitsverträge abschließen, einschließlich eines gewissen (!) Weisungsrechts des Arbeitgebers (Arbeitszeiten, Arbeitskleidung, bestimmte Regeln des Geschäfts, keine Drogen oder Alkohol, nicht aber Pflicht zur konkreten Dienstleistung)."

In einer Forsa-Umfrage für den stern befürwortet nur eine Minderheit von 15 Prozent der Bundesbürger die Amnesty-Entscheidung für eine generelle Entkriminalisierung der Prostitution, Zuhälter oder Bordellbetreiber eingeschlossen. 59 Prozent favorisieren die derzeit auch in Deutschland geltende Regelung, dass Prostituierte legal arbeiten können, nicht aber ausbeuterische Zuhälter oder Bordellbetreiber. 19 Prozent wiederum sprechen sich für ein generelles Verbot der Prostitution aus. Befragt wurden am 13. und 14. August 1005 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger.

Forsa-Umfrage für den stern

Für eine generelle Entkriminalisierung, wie sie Amnesty International anstrebt, setzen sich vor allem die 18- bis 29-Jährigen (22 Prozent) und mehr Männer (19 Prozent) als Frauen (11 Prozent) ein. Überdurchschnittlich häufig dafür sind auch die Anhänger der FDP (19 Prozent), der SPD und der Linkspartei (jeweils 17 Prozent).

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das deutsche Modell, nach dem Prostituierte unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen dürfen, ausbeuterische Zuhälter oder Bordellbetreiber aber mit Strafverfolgung rechnen müssen, wird von allen gesellschaftlichen Gruppen mehrheitlich gutgeheißen.

Der Auffassung, dass käuflicher Sex prinzipiell verboten werden sollte, sind vor allem die 18- bis 29-Jährigen und die über 60-Jährigen mit jeweils 24 Prozent. Für ein generelles Verbot plädieren auch 22 Prozent der Frauen, 23 Prozent der Befragten mit Hauptschulabschluss und 22 Prozent der Anhänger von CDU/CSU. 

Grafik: Florian Gossy