Die Aufnahme der SPD-Spitze war durchweg freundlich. Die nervösen Sicherheitskräfte mussten nicht einschreiten. Von aufrührerischer Stimmung oder gar Randale war am Dienstag im geschichtsträchtigen Hörsaal A des Henry-Ford-Baus der Freien Universität Berlin, wo die Studentenrevolte Ende der 60er Jahre ihren Anfang nahm, nichts zu spüren. Durchaus respektabel sei es, sich der Debatte zu stellen, begrüßte Marvin Garmisch von den Juso-Hochschulgruppen Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier. Aber ihr Erscheinen habe nach dem Wahldesaster wohl auch ein handfestes Motiv: "Die SPD will ja nun wieder ins richtige Leben gehen", fügte der Student mit spöttischem Unterton hinzu.
Zwei Tage vor dem geplanten Großaufmarsch in Bonn in Sachen "Bildungsstreik" hörten sich die beiden Sozialdemokraten im vollen Saal mit viel Verständnis die Nöte des akademischen Nachwuchses an. Einige der Fragen aus dem jugendlichen Publikum waren Gabriel eher zu brav. "Die SPD reagiert immer dann am besten, wenn die Leute ihr Feuer unter dem Hintern machen", warb er für etwas mehr Lebendigkeit. Doch das junge Publikum ließ sich nicht weiter aus der Reserve locken. Heftig geklagt wurde über die ständig zunehmende Verschulung der Hochschulen wegen Bachelor und Master, fehlende Mitsprache in den Gremien, starre Anwesenheitspflichten und mangelnde Förderung, die einen Nebenjob neben dem Studium fast zum Normalfall machten.
Damit kenne er sich aus seinem eigenen Pädagogik-Studium bestens aus, kramte Gabriel in Erinnerungen. So habe er sich unter anderem als Nachtportier im Hotel betätigt. Oder als Bierfahrer für eine Brauerei, da habe es immer sechs Flaschen umsonst gegeben.
Trotz aller Sympathie für die Wünsche der Studenten hielten sich Gabriel und Steinmeier mit großzügigen Zusagen zurück - in der Erkenntnis, dass die sich aus der Opposition heraus ohnehin nur schwer realisieren lassen. Die Forderung, der Staat solle auch ein kostenloses Zweitstudium garantieren, stieß etwa auf klare Ablehnung. Ebenso der Wunsch, weniger staatliche Gelder für die Spitzenforschung auszugeben. "Das wäre tödlich für unser Land", zeigte sich Gabriel überzeugt.
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt mit Steinmeier in dessen neuer Funktion gab sich der SPD-Vorsitzende Mühe, den Fraktionschef in der Debatte nicht zum Statisten zu degradieren. Auffällig achtete er darauf, dass sein Nebenmann auf dem Podium ebenfalls ausreichend Gelegenheit bekam, Fragen zu beantworten. Zum Schluss lud Gabriel eine Abordnung der seit vier Wochen streikenden Studenten für kommenden Montag in den SPD-Vorstand ein. "Noch nicht als neue Mitglieder - obwohl das auch ganz gut täte", lautete der vielsagende Zusatz.