Es war vor genau fünf Jahren, am 25. Mai 2005, beim Mittagessen in einem Restaurant in London, als mir ein Kollege die Euro-Krise voraussagte, von der wir heute alle reden.
Der Kollege heißt Ambrose Evans-Pritchard. Er schreibt für den euroskeptischen "Daily Telegraph" über die globalen Finanzmärkte. Wir kannten uns aus gemeinsamen Korrespondententagen in Brüssel. An diesem Tag in London wies mich Ambrose daraufhin, dass in der Londoner City seit geraumer Zeit ein Trend aufmerksam verfolgt werde, der für den Euro gefährlich zu werden drohe. Die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen der Südländer Portugal, Spanien, Italien und Griechenland seien am steigen, gemessen an den Zinsen für deutsche Bonds. Eigentlich hätte es das nach den Prognosen gar nicht geben dürfen – waren doch alle unter dem selben Währungsdach vereint. Dass es anders kam, unterminierte die Glaubwürdigkeit des angeblich unverbrüchlichen Bündnisses schon vor fünf Jahren. Gegen Länder wie Griechenland zu wetten, das gelte in der City geradezu als „no brainer“, also als ein risikoloses Investment, verriet mir der englische Kollege.
Denn schon vor fünf Jahren war zu sehen, wie im „olive oil belt“ im Süden der EU die Wettbewerbsfähigkeit schrumpfte und die Defizite wuchsen. Das war auch eine Folge des Euro, der die Zinsen für die Mittelmeeranrainer auf für sie unbekannte Tiefen gesenkt hatte und damit das Schuldenmachen erleichterte – und natürlich auch die Einfuhr deutscher Produkte.
Damals, im Frühjahr 2005 in London, hörte ich auch erstmals von den Thesen eines Bankers namens Joachim Fels, der bis heute bei Morgan Stanley arbeitet. Fels hatte in kleiner Runde sogar den damaligen Finanzminister Hans Eichel (SPD) vor einem möglichen „Super-GAU“ gewarnt: einem Auseinanderbrechen des Euro in Folge der auseinanderdriftenden Volkswirtschaften in Nord- und Südeuropa.
Die Warnung des Finanzexperten Fels griffen wir kurz darauf in einem größeren Stück über den Euro auf. Der Artikel blieb nicht unbeachtet: Alle zitierten ihn – und viele erklärten uns für verrückt.
Die EU-Kommission nannte ihn lächerlich, das deutsche Finanzministerium sprach von einer „absurden Diskussion“ und auf den Wirtschaftsseiten wohlmeinender deutschen Zeitungen war von einer „Geisterdebatte“ die Rede. Die „Frankfurter Rundschau“ geißelte unsere „abstruse Story“ und auch die „Zeit“ nannte sie ein „absurdes Beispiel“ für unnötiges Euro-Bashing. Ich selbst war ein paar Tage darauf im ARD-Presseclub zu Gast und wurde dort von Bernd Ziesemer, dem damaligen Chefredakteur des „Handelsblatt“, schwer gerügt. Dem Euro drohe keine Gefahr, das sei alles lächerlich!
Dabei stand damals Fels mit seiner Warnung nicht allein. Ähnliche Prognosen kamen im Frühsommer 2005 auch von der HSBC, einer weiteren großen Bank, oder dem Brüsseler Thinktank CEPS, der der EU-Kommission durchaus nicht fern steht.
Auch in der EU-Kommission wusste man es schon damals besser als der Kollege Ziesemer. Die Wirtschaftsdaten der Mitgliedsländer lagen ihr vor. Und hinter vorgehaltener Hand gaben einige der ebenso hoch bezahlten wie qualifizierten EU-Ökonomen von Anfang an dem Euro eine nur begrenzte Lebensdauer. In Brüssel war die Sorge längst angekommen, dass die Währungszone zu viele Länder zusammen spannte, die zu wenig miteinander gemeinsam hatten. Es gab allerdings nur einen einzigen EU-Beamte, der solche Thesen auch öffentlich vertrat. Er hieß Bernard Connolly und wurde von der Kommission dafür disziplinarisch verfolgt. Weil nicht sein durfte, was nicht sein konnte. Sein Buch über „The Rotten Heart of Europe“ wurde übrigens ins Französische, aber nie ins Deutsche übersetzt.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Gewiss, der Euro ist auch heute noch nicht tot. Natürlich, man muss versuchen, ihn zu retten. Aber die Rettungsübungen werden nicht funktionieren, wenn einige weiter so tun, als sei ausgerechnet mangelndes Europäertum schuld an der Krise – auch wenn Kommissionspräsident José Manuel Barroso heute in der FAZ erneut suggerierte, man müsse nur „für Europa“ sein, dann löse sich die Krise irgendwie viel leichter.
Das Gegenteil ist wahr. Was Europa am meisten geschadet hat, ist die ideologisierte Kultur der Denkverbote, die allzu lange bei allzu vielen EU-Themen herrschte – eine Kultur, die Häresie bestraft und in der alles immer gleich eine Frage von Krieg und Frieden ist. Was die EU tut, ist eben oft zwar gut gemeint. Aber nicht gut gemacht. Über Ersterem wurde Letzteres allzu oft ignoriert. Dafür zahlen wir jetzt alle den Preis. Naivität kann ziemlich teuer sein.
Falls irgend jemand sich für die Ursachen der Griechenlandkrise interessiert, muss er darum nicht nur nach Griechenland gucken, nicht nur auf die Regierungen in Berlin oder Paris, die den Stabilitätspakt schon vor sieben Jahren aufgeweicht haben - sondern auch nach Brüssel und Straßburg. In den europäischen Institutionen arbeiten die Leute, die längst viel lautstarker hätten warnen können. Es wäre ihr Job gewesen. Aber sie haben diesen Job nicht gemacht.
Immerhin, der ehemalige Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl stellt heute ebenfalls öffentlich die Frage, weshalb EU-Kommission und EZB im Fall Griechenland nicht viel früher eingriffen. Aber warum steht Pöhl mit dieser Frage fast allein? Schlimmer: Warum scheint es kaum einen zu kümmern, dass es die schludrige Arbeit von Eurostat und Kommission Griechenland erst möglich machte, sich in die Eurozone zu mogeln – so wie wir das vergangene Woche berichteten? Schon im Mai 2005 hatten die Mitgliedsstaaten die Kommission aufgerufen, die wachsenden wirtschaftlichen Divergenzen im Euroland zu untersuchen. Was wurde daraus eigentlich? Und schon Ende Juli 2005 wunderte sich die FAZ, warum die vom Portugiesen Barroso geführte Kommission dem Heimatland des Behördenchefs damals geschlagene drei Jahre Zeit gab, sein Defizit wieder auf ein akzeptables Maß zurück zu führen – ein Defizit, das auch deshalb so beständig schien, weil Portugal unter seinem vorherigen Premier (ja genau: Barroso) lange vor allem dank so genannter Einmalmaßnahmen die Kriterien eingehalten hatte.
Geradezu tragisch, dass es eigentlich genau die EU-Institutionen sind, die einzig in der Lage sein müssten, europäische Antworten auf europäische Krisen zu finden. Doch so wie die EU-Kommission heute verfasst ist, hinterlässt sie ein Vakuum. Schon deshalb war es reine Traumtänzerei, dass im deutschen Finanzministerium bis vor kurzem der Glaube herrschte, man könne der Kommission alleine die Überwachung des griechischen Sparprogramm überlassen - und man komme ohne den Internationalen Währungsfonds (IWF) aus.
Aber den Hurra-Europäern darf man Europa nicht überlassen. Manchmal ist es besser, auf die Euroskeptiker zu hören. Und wenn sie auch in London sitzen.
P.S.: Wie sehr die Kommission kritische Nachfragen schätzt, durfte ich gerade dieser Tage wieder erleben. Auf eine Interviewanfrage bei Euro-Kommissar Olli Rehn erhielt ich erst tagelang keine Antwort, dann schickte mir dessen Pressesprecher versehentlich seine interne Anweisung, wie mit meiner Bitte umzugehen sei:
„sensitive one, pls add and reply not possible in short term but we are trying...“
Zu Deutsch: Sensitive Anfrage, den Journalisten bitte hinhalten!