Hans-Martin Tillack Westerwelle, Steinbrück, Merz

Verteidiger des Wirtschaftsliberalismus führen sich hierzulande gerne als politisch Verfolgte auf, auch jetzt wieder nach dem Westerwelle-Rücktritt.

Ganz ehrlich und unter uns: Ich persönlich habe ja durchaus eine Schwäche für ein gewisses Vertrauen in den Markt. Weniger sympathisch sind mir aber viele deutsche Wirtschaftsliberale, die so tun, als sperre man sie demnächst ob ihrer tapferen Haltung in finstere Kellerverliese.

Obwohl er sich nichts vorzuwerfen habe, sei Guido Westerwelle als FDP-Chef dem Druck der politisch korrekten Staatsgläubigen wichen, so ungefähr tönte es jetzt aus allen möglichen Ecken.

In Wahrheit kann solche steilen Thesen nur jemand vertreten, der die vergangenen zwei Jahre in einem Funkloch am anderen Ende der Welt verbracht hat. Immerhin holte Westerwelle mit seinen wirtschaftsliberalen Thesen ein Rekordergebnis bei der Bundestagswahl. Nur zeigte er kurz darauf, dass er selbst viel mehr der Glaubensrichtung des Klientelismus anhängt als der des Liberalismus. Weil es eben keine Steuersenkung für alle gab, sondern nur für Hoteliers. Weil ausgerechnet Hotelierkreise zuvor ein Fünftel des FDP-Wahlkampfetats getragen hatten. Und weil Westerwelle sich gleich bei zwei seiner drei ersten Delegationsreisen ins Ausland von einem weiteren Grossspender begleiten ließ.

Genau diese beiden Vorgänge trugen ja mit am Nachhaltigsten zum Absturz der FDP an der Glaubwürdigkeitsbörse bei. Weil sie den Verdacht bestätigten, dass es den Liberalen nicht um das Wohlergehen der Gesellschaft als Ganzer gehe, sondern nur um den eigenen Geldbeutel – beziehungsweise das Portemonnaie derjenigen Gönner, die der FDP und Westerwelle geholfen hatten, an die Macht zu kommen.

Auch der SPD-Mann Peer Steinbrück stilisiert sich gerne als einsamer Rufer, was insofern berechtigt ist, als es in der SPD nicht gerade vor Wirtschaftsexperten wimmelt. Zugleich fällt bei dem ehemaligen Finanzminister auf, dass er seit der Bundestagswahl Ende 2009 zwar 46 jeweils vierstellig bezahlte Vorträge außerhalb des Parlaments hielt – aber nur eine einzige Rede im Bundestag, in den er sich dennoch freiwillig von uns Bürgern wählen ließ und in dem er jeden Monat seine Diät bezieht.

Steinbrück sieht sich gerne als Mann der Mitte. Wie sehr im selbst offenkundig Maß und Mitte fehlen, beschrieb die Website Abgeordnetenwatch.de dieser Tage in ihrem Newsletter sehr schön. Als nämlich Abgeordnetenwatch.de bereits vor acht Monaten auf ein Missverhältnis zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten Steinbrück hinwies, reagierte der Sozialdemokrat mit Beschimpfungen. Ausgerechnet der Lohnredner Steinbrück warf dem von einem gemeinnützigen Verein getragenen Projekt Abgeordnetenwatch vor, da gehe es um einen „kommerziellen Haufen“. Immerhin versprach der Ex-Minister, in Zukunft seine eigene kommerzielle Tätigkeit „zu dosieren“. Was sich dann laut Abgeordnetenwatch in 17 weiteren bezahlten Vorträgen niederschlug. Übrigens gilt dieser Mann auch manchen eigenen Parteigenossen als geeigneter Kanzlerkandidat.

Ein weiterer verhinderter Kanzlerkandidat, Friedrich Merz von der CDU, lobte jüngst das Buch, das der SPD-Mann ebenfalls unlängst auf den Markt warf. In dem „schleudert Peer Steinbrück den Deutschen einige unbequeme Wahrheiten entgegen“, findet Merz. Er nahm ihn also auf in den Club der ungeliebten Wahrheitsverkünder, zu dem sich auch Merz selbst sicherlich zählt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Am Dienstag vermeldeten wir auf dieser Website eine Wahrheit, deren Verkünden Merz nicht so geliebt haben dürfte. Nämlich die Tatsache, dass er als so genannter Veräußerungsbeauftragter der maroden Landesbank WestLB ein Tageshonorar von 5000 Euro bezieht. Gewiss, das ist in der Beraterbranche ein Satz, der zwar hoch ist, aber nicht völlig aus der Welt. Die zahlreichenKommentatoren, die unsere Geschichte aufgriffen, wiesen trotzdem auf einen wichtigen Punkt hin: Merz’ Beraterhonorar zahlen letztlich die Steuerzahler, die auch die Milliardenverluste der WestLB tragen. Nicht ohne Grund hat ja der Bundestag Vorstandsgehälter und Bonuszahlungen bei solch staatsgestützten Instituten gedeckelt. Wer da selbst so zulangt, wie es der ehemalige CDU/CSU-Fraktionschef tut, der braucht sich nicht wundern, wenn man von ihm nicht mehr hören möchte, wie sehr wir alle unsere Ansprüche an den Staat einschränken sollten.

Deutschland braucht Liberale, Deutschland braucht auch Wirtschaftsliberale. Aber bitte solche, denen ihr intellektuelles Niveau wichtiger ist als die Füllhöhe im häuslichen Geldspeicher.

P.S. Auf V.i.S.d.P. hat der langjährige Blogger Don Dahlmann diesen Blog heute als einen von nur drei Journalistenblogs für seine „hochwertigen Inhalte“ gelobt, neben den bekannten Webkolumnen von Michael Spreng und Stefan Niggemeier. Wie schön!