Mittwoch vergangener Woche. Joschka Fischer & Company, die Lobbyfirma des ehemaligen Außenministers, hatte in ihren Firmensitz in allerbester Hauptstadtlage geladen. Im Eckbüro fünf Stockwerke über dem Berliner Gendarmenmarkt sollten Unternehmensvertreter beim Frückstück erfahren, was sie von einer künftigen Koalition aus Union, FDP und Grünen zu erwarten haben. Oder was zu befürchten sei. "Wie grün wird Jamaika?" Unter dieser Überschrift versprach die Lobbyfirma Antworten auf allerlei Fragen: "Was bedeutet das für die Wirtschaft? Und wie kann Joschka Fischer & Company Unternehmen in dem neuen politischen Umfeld begleiten?"
Weil die Grünen an den Verhandlungen beteiligt waren, witterten sie in der Firma des ehemaligen Grünen-Ministers offenkundig eine Marktchance. Bei Joschka Fischer & Company arbeiten sie zum Beispiel für den Versicherungskonzern Allianz – legen aber eigentlich die Namen ihrer Kunden nicht offen.
Dumm gelaufen, dass es nun gar kein Jamaika gibt. Aber richtig ist: Koalitionsverhandlungen sind stets eine Art Hochsaison für viele Lobbyisten. Wenn Politiker auf bis zu 200 Seiten festlegen, was sie in den kommenden vier Jahren tun wollen und was nicht, werden Geschäftsmodelle erleichtert oder gefährdet. Jetzt waren die Verhandler von Union, FDP und Grünen bereits bei ihren Sondierungsgesprächen so sehr ins Detail gegangen, dass sie Heerscharen von Lobbyisten auf den Plan gerufen hatten – nur dass alle Mühe erst einmal nichts gefruchtet hat, mangels Einigung auf eine Koalitionsvereinbarung.
Häppchen von der Spielautomatenbranche
Ein Bündnis aus Grundbesitzern, Metallindustrie und Steuerzahlerbund hatte zuvor extra einen Lastwagen mit Großplakat durch das Regierungsviertel rollen lassen: "Wort halten, Soli abschaffen", forderte der Slogan. Die Spielautomatenbranche bewirtete um die 300 Gäste in einem traditionsreichen Ballhaus in Berlin-Mitte mit fliegenden Häppchen, unter den Gästen auch ein Staatssekretär aus dem Verkehrsministerium und der FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms. Man habe hier einen "Markt, der viele Chancen bietet", lobte der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg in seiner Gastrede. Der Termin für den Empfang sei darum "exzellent gewählt".
Manche Firmen heuern extra für die Dauer von Koalitionsverhandlungen Berliner Profi-Lobbyisten an. Die sollen dann genau beobachten, was die Verhandler planen – und es bei Bedarf verhindern oder beeinflussen. Die PR- und Lobbyagentur MSL Germany verschickte bereits Anfang September eine Werbeschrift, in der sie ihre Dienste für diesen Zweck anbot. Die "heiße Phase" für den Lobbyismus beginne "am ersten Tag" nach der Bundestagswahl, warnte eine Agenturmitarbeiterin potentielle Kunden in der Wirtschaft. Wer sich "während der hektischen Verhandlungen Gehör verschaffen will", so die Lobbyistin, müsse "das kurze Zeitfenster optimal nutzen" und "über einen belastbaren Draht zu den entscheidenden Verhandlungsführern verfügen". Den hätten die Leute von MSL – ausgewiesen als langjährige Interessenvertreter für Firmen wie Google oder den Pharmakonzern Sanofi.
"Das kurze Zeitfenster optimal nutzen"
Im Fall einer sich anbahnenden Jamaika-Koalition könne "mit einer langen Sondierungsphase und harten Verhandlungen gerechnet werden", prognostizierten die MSL-Leute bereits Anfang September. Man kenne halt "die Gesetzmäßigkeiten" solcher Prozesse. Den plötzlichen Abbruch der Verhandlungen konnten auch sie nicht voraussehen.
Häufiger als noch vor vier Jahren melden meldeten sich die Lobbyisten gerade bei den Abgeordneten aus Joschka Fischers Partei - aus naheliegenden Gründen, stand die Öko-Partei doch kurz davor, an der Regierung beteiligt zu sein. "Das hatte eine deutlich höhere Frequenz", beobachtete der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner. Da gab es den Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der im Namen der Rüstungskonzerne gleich ganze Formulierungsvorschläge für den künftigen Koalitionsvertrag verschickte. Ein Kernziel: Keine schärfere Exportkontrolle für Waffen.
Post von der Rüstungsindustrie
Der Cheflobbyist des Tabakkonzern Philip Morris schrieb aus München und warb um möglichst niedrige Steuern bei "neuartigen, potentiell risikoreduzierten Produkten und E-Zigaretten". Der Verband der Familienunternehmer, in dem auch manche milliardenschweren Mittelständler organisiert sind, warb in in einem Brief an die Abgeordneten ganz allgemein für "den Klimaschutz" – und ganz konkret gegen Subventionen für Wind- und Solarstrom.
Aber es gab auch Firmen wie Siemens oder SAP, die sich für den Kohleausstieg stark machten. Und manchmal waren selbst die Grünen regelrecht dankbar, dass sie auf einen Lobbyisten trafen. Zeitweise nahm Stefan Kapferer an den Sondierungsgesprächen über Energiepolitik teil. Er ist Chef des Verbands BDEW, den traditionell die großen Kraftwerksbetreiber wie Eon und RWE dominieren – und er ist Mitglied der FDP.
Hatten also die Freidemokraten einen Kohle-Lobbyisten an den Tisch geholt, wie manche glaubten? Nein, der Vorwurf war unberechtigt. CDU-Chefin Angela Merkel hatte angeregt, Kapferer dazu zu holen – und gerade bei den Grünen waren sie darüber sehr erleichtert. "Wir haben das wohlwollend zur Kenntnis genommen", bestätigte ein Öko-Mann.
Vorher hatte nämlich der 76-jährige FDP-Mann Solms für die FDP die Energiepolitik verhandelt – ein Thema, in das er sich erst kürzlich vertieft eingelesen hatte. Solms habe schlicht "keine Ahnung von Energiepolitik", schimpften sie bei den Grünen: "Das war sehr unsäglich. Die sind vor vier Jahren stecken geblieben." Dann schon lieber ein Lobbyist, der sich auskennt.
Hätte Jamaika ein Lobbyregister eingeführt?
Bis Ende vergangener Woche hatte es sogar ein unstrittiger Passus in die Jamaika-Entwürfe geschafft, der ein "verpflichtendes Lobbyregister" vorsah. Also ein öffentlich im Netz einsehbares Verzeichnis, in dem Firmen angeben, welche Summen sie für Lobbying ausgeben und wen sie dafür beschäftigen. In den USA gibt es das seit vielen Jahren, in Brüssel seit einiger Zeit ebenfalls, wenn auch dort zunächst nur auf freiwilliger Basis. Obwohl FDP-Christian Lindner es als "überflüssige Bürokratie" empfand, stand das Vorhaben eines deutschen Lobbyregisters offenbar bis zum Schluss im Vereinbarungsentwurf.
Gäbe es so etwas auch in Berlin, dann würde bekannt, für wen zum Beispiel Lobbyagenturen wie Joschka Fischer & Company arbeiten. Kommt solch ein Lobbyregister nun ohne eine Jamaika-Koalition eventuell auch in einer anderen Konstellation? Etwa in einer erneuten Großen Koalition? Das ist eine offene Frage. CDU und CSU waren bisher immer dagegen. Die SPD befürwortet ein solches Register anderseits bereits seit Jahren. Nach dem "Rent-a-Sozi"-Skandal Ende 2016 hatten die Sozialdemokraten dazu auch einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt, quasi als tätige Reue. Eva Högl, eine Vize-Fraktionschefin der SPD, legte darauf Anfang des Jahres sogar einen konkreten Text für solch einen Gesetzesentwurf für ein Lobbyregister vor. Er sah bei Verstößen gegen die Registrierungspflichten Geldbußen von bis zu 50.000 Euro vor. "Interessenvertretung ist legitim und gehört zu unserer Demokratie", sagt Högl: "Aber ich möchte, dass klar wird, wer welche Interessen vertritt, etwa in Anwaltskanzleien und Lobbyagenturen."
Der SPD-Entwurf für das Transparenzregister gefiel nach Recherchen des stern nicht allen in der eigenen Partei. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) störte sich an dem Vorhaben. In der Folge hat sich die SPD-Fraktion Högls Entwurf bis heute nicht erkennbar zu eigen gemacht.
Der DGB beteuert zwar auf Anfrage, dass er "das Anliegen des Entwurfs ausdrücklich begrüßt". Aber man wünsche eine "Abgrenzung der Gewerkschaften zu den in dem Gesetzentwurf definierten Lobbyisten", argumentiert die DGB-Sprecherin und beruft sich auf den Artikel im Grundgesetz, der die Koalitionsfreiheit und damit etwa das Streikrecht in der Arbeitswelt garantiert. Man habe bei der SPD-Fraktion darum, so die Sprecherin, "um eine entsprechende Überarbeitung des Entwurfs gebeten".
Nun ist die Berliner Lobbyarbeit des DGB eigentlich etwas anderes, als die - wichtige - Arbeit der Einzelgewerkschaften, die im Interesse der Beschäftigten deren Rechte gegenüber den Arbeitgebern vertreten. Zumal die europäische Dachorganisation, der der DGB angehört - die European Trade Union Confederation (ETUC) – sich ohne großes Zucken bereits im Jahr 2009 im entsprechenden EU-Register angemeldet hat, mit heute 23 lobbyistisch tätigen Mitarbeitern.
Und was, wenn es wirklich eine Ausnahme für das Lobbying der Gewerkschaften geben sollte? Wer käme dann als nächster?
Nachtrag am 24. November 2017: Inzwischen hat die SPD-Fraktion auf eine Anfrage des stern reagiert und ihre Unterstützung für die Einführung eines Lobbyregisters bekräftigt. Man habe den Gesetzentwurf "noch nicht in den Deutschen Bundestag eingebracht, weil es hierzu in der vergangenen Legislaturperiode mit der Union keine Übereinstimmung gab", sagte eine Sprecherin. Außerdem habe man "überfraktionell erste Signale" vernommen, dass es in der neuen Legislaturperiode eine Mehrheit für ein Lobbyregister geben könnte: "Dem wollten wir nicht vorgreifen." Änderungsvorschläge habe es von verschiedenen Seiten gegeben, auch vom DGB.
Überdies hat die Branchenvereinigung Degepol auf unsere Recherchen reagiert und bekräftigt, dass ein Lobbyregister "für alle" zu gelten habe, siehe hier.