Tod auf dem Hochsitz Warten, bis das Leben erlischt

Ein Mann geht in einen Wald, klettert auf einen Hochsitz und wartet darauf, dass er stirbt. Es ist unendliche Hoffnungslosigkeit, die sich in dieser langsamen, bewussten Form des Freitods widerspiegelt. Der Mann, dessen Leiche nun in Niedersachsen gefunden worden ist, hat die Einsamkeit seiner letzte Tage dokumentiert - und die Einsamkeit davor.

Es war ein langsamer und einsamer Tod auf einem Hochsitz: 24 Tage lang ertrug der 58-Jährige aus Hannover Durst, Hunger und Schmerzen, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Sein Wille war stark, er wollte nicht gefunden werden und er widerstand allen Versuchungen, den Hochsitz in der Nähe der niedersächsischen Kleinstadt Uslar zu verlassen. Seine letzten Wochen, sein langsames Sterben und seine Hoffnungslosigkeit dokumentierte der Mann in einem Tagebuch. Dieses Tagebuch, so schrieb der Mann in seinem letzten Eintrag am 13. Dezember, sollte seine Tochter erhalten.

Medienberichten zufolge soll die junge Frau, die bei Ahrensbök in Schleswig-Holstein lebt, gesagt haben, dass sie keinen Wert darauf lege, den Leichnam ihres Vaters zu bestatten oder das Buch in Empfang zu nehmen. Die zuständige Polizei in Northeim will dies nicht bestätigen. "Ich kann nur so viel sagen: Das Buch ist an Verwandte des Toten unterwegs", sagt Polizeisprecher Uwe Falkenhain im Gespräch mit stern.de. Nach einem Bericht der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" hat sich die Tochter entschieden, ihren Vater auf hoher See bestatten zu lassen. Offenbar ist das ein Wunsch ihres Vaters gewesen.

Er war obdachlos und wollte nicht mehr leben

Die persönliche Tragödie des 58-Jährigen ereignete sich in idyllischer Umgebung: Ein Hochsitz, wie es sie im Mittelgebirge Solling zu hunderten gibt, nicht weit entfernt von einem Erlebnis-Waldweg in der Nähe des Ferienorts Uslar. Zwei Jäger, die ein paar morsche Bretter am Hochsitz reparieren wollten, fanden in dem zwei auf zwei Meter großen Innenraum erst einen Rucksack, dann die Leiche. Sie lag mumifiziert auf einer Matratze, daneben das Tagebuch und ein Handtuch. Die alarmierten Rettungskräfte hievten die Leiche des stark abgemagerten Mannes hinunter. Die Polizei schließt ein Verbrechen aus. "Für uns steht fest, dass war ein Suizid. Damit ist der Fall für uns erledigt", sagt Polizeisprecher Falkenhain.

Aus seinem in blaues Plastik eingebundenen Tagebuch, das der Mann geschrieben hatte, während er auf dem sechs Meter hohen Hochsitz hauste und nichts mehr aß, geht hervor, dass er nicht mehr leben wolle, jedoch Angst vor dem Tod habe. Der frühere Zeitsoldat und gelernte Bürokaufmann, der in den 90er Jahren erfolgreich Messen organisiert haben soll, war zuletzt als Außendienstmitarbeiter tätig. Dann wurde er arbeitslos. Im Oktober 2007 endete die Zahlung seines Arbeitslosengeldes. Er musste sogar seine Wohnung räumen. Er hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich, seine erwachsene Tochter habe sich von ihm losgesagt, schreibt er. Eine voran gegangene monatelange psychiatrische Behandlung hatte ihm den verloren gegangenen Lebensmut offenbar nicht zurück bringen können. Er war einsam. Nach Erkenntnissen der Polizei lag nicht einmal eine Vermisstenmeldung auf seinen Namen vor.

Schmerzen, die ihm der Hunger bereitete

In dieser Situation machte sich der 58-Jährige irgendwann im Spätherbst mit dem Fahrrad auf den mehr als 100 Kilometer langen Weg von Hannover Richtung Solling. Als ein Reifen kaputt ging, lief er zu Fuß weiter. Aus dem Tagebuch geht hervor, dass er eine Stelle suchte, an der er alleine sein konnte. Mindestens dreieinhalb Wochen hat der 58-Jährige auf dem Hochsitz zugebracht und in dieser Zeit keine Nahrung zu sich genommen. Er berichtet in dem Buch auch von Schmerzen, die ihm der Hunger bereitete, und davon, dass er nicht mehr leben wolle. Aber auch davon, dass er sich vor einem gewaltsamen Freitod fürchte. Er soll auch darüber berichtet haben, wie sich eine Unterzuckerung auswirkte und welche inneren Organe nach seiner Einschätzung allmählich aussetzten, die Haut eintrocknete.

Einmal wäre er beinahe von einem kleinen Mädchen entdeckt worden, das auf den Hochsitz klettern wollte, schreibt der Mann. Der besorgte Vater des Kindes habe es aber zurückgeholt. Dass nicht früher ein Jäger kam, lag daran, dass die Leiter zum Hochsitz morsche Tritte hatte.

Irgendwann in der Zeit vor Weihnachten muss der Mann dann gestorben sein. Zurück bleibt nicht viel: Ein Tagebuch und ein paar andere Habseligkeiten.

AP
zen mit DPA/AP