Eines kann man der Kanzlerin nicht vorwerfen: Opportunismus. Sie schmeißt sich nicht in die Arme des Volkes, sondern nimmt gerne Unbehagen auf Seiten der Wähler in Kauf, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Und weil die Wahrheit meist eine sehr relative oder zumindest subjektive Angelegenheit ist, macht Merkel lieber das, was sie für richtig hält. Denn dafür kann sie guten Gewissens den Kopf hinhalten. Für das, was richtig ist, eher nicht. So ist jedenfalls die öffentliche Wahrnehmung derzeit in Sachen Energiekonzept. Dieses trägt allein schon deshalb zu recht seinen Namen, weil es viel Energie gekostet hat, bis es zustande kam.
Merkel will nämlich nichts weniger als eine Vorreiterrolle einzunehmen. Dabei kann sie logischerweise keinerlei Rücksicht auf Nörgelvereine wie den Bundesrat nehmen. Wenn eine tolle Idee erst in den obersten politischen Gremien diskutiert werden soll, braucht sich niemand wundern, wenn ein Reformstau entsteht. Wobei sich die Kanzlerin gerne dem Bundesrat stellen würde, wenn es dort noch eine schwarz-gelbe Mehrheit gäbe. Und dass sich der Wähler bei den letzten Landtagswahlen verwählt hat, darf sich nicht auf die Handlungsfähigkeit der Deutschland-Chefin auswirken. Sie hat sich dem Klimaschutz verschrieben. Also zieht sie das auch durch. Bedenken von Umweltgegnern wie zum Beispiel den Grünen dürfen da erst gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Und überhaupt: Klimaschutz ist ein weiter Begriff. Selbst wenn die Erderwärmung rasant ansteigen würde und ein Leben auf diesem Planeten gar nicht mehr möglich wäre, hätte das Klima seinen festen Platz. Unter diesem Aspekt erscheinen die von Schwarz-Gelb abgesegneten Maßnahmen durchaus plausibel. Sicherheitshalber ist das Konzept bis ins Jahr 2050 angelegt. Kurzfristigere Ziele wären für Schwarz-Gelb brandgefährlich, weil die Koalition sie zu verantworten hätte.
stern.de-Kolumnist Django Asül
... ist aktuell auch live zu sehen: am 3. und 4.Oktober in München im Lustspielhaus.
Merkel verschiebt alles bis zum Sanktnimmerleinstag
Oberstes Ziel des Energiekonzeptes: Die regenerativen Energieformen sollen ausgebaut werden. Dazu bedarf es logischerweise großer Investitionen der Energiekonzerne. Diese jedoch betonen, dass sie nun zu Kürzungen bei den Investitionen gezwungen seien durch das Merkelsche Jahrtausendkonzept. Der Innovationsdruck nimmt enorm ab. Alles wird irgendwie verschoben bis zum Sanktnimmerleinstag. Ein Umdenken war von der Kanzlerin erwünscht. Ein Umdenken findet auch statt. Wenn auch genau in die andere Richtung. Aber die Politik steht nun mal unter dem Druck, Lösungen zu präsentieren. Eine schlechte Lösung ist allemal besser als gar keine. Und diese Strategie wird von Schwarz-Gelb auch konsequent durchgezogen. Ebenso bei der Gebäudesanierung, wo das größte Potenzial zum Energiesparen wäre.
Lausige Förderung und keine konkrete Verpflichtung für Häuslebauer sind die Bausteine, die zum Gebäudesanieren animieren sollen. Ist das schlimm? Natürlich nicht. Die Regierung setzt auf die Vernunft der Immobilienfreaks. Wer sein Haus liebt, wird es auch energetisch entsprechend ausstatten. Notfalls muss eben eine neue Verordnung her, die eine Raumtemperatur über 21 Grad verbietet. Oder noch besser auf 17 Grad, was so ganz nebenbei schöne Impulse für den Textileinzelhandel setzen würde.
Schwarz-Gelb tut alles um ab 2013 nicht mehr zu regieren
Das sollte dann aber am besten im Kleingedruckten stehen. Denn diese Idee hatte schon vor längerer Zeit ein gewisser Finanzsenator Sarrazin in Berlin. Dem ging es damals jedoch nicht so sehr um Kohlendioxideindämmung, sondern um Heizkostenkontrolle bei Hartz IV-Empfängern. Um die harsche Kritik der Opposition, Bürger und der Fachleute einzudämmen, sollte Merkel vielleicht das Energiekonzept mit Stuttgart 21 kombinieren. Das Volk ist schließlich offen für Kompromisse. Für ein Jahr Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke könnte man beispielsweise den Bahnhof in Stuttgart einen Meter weniger tief in den Erdboden rammen. Oder die Bäume im bahnhofsnahen Schlosspark werden nicht zwangsgerodet, wenn sich dafür die Baukosten für die Strecke nach Ulm nur verdoppeln statt vervierfachen.
Wem das Energiekonzept insgesamt ein bisschen halbgar erscheint, muss sich lediglich in Geduld üben. Schwarz-Gelb tut allerhand, um 2013 von der Fron des Regierens befreit zu werden. Auch wenn Rot-Grün im Moment eher unwahrscheinlich ist: Grün-Rot ist eine sehr realistische Option. Und Grün-Rot wird das Energiekonzept genauso gnadenlos über die Klippen stürzen wie Schwarz-Gelb die Meinung des mündigen Bürgers bei den Themen Atom, Stuttgart 21 und Sarrazin. Soll heißen: Politik ist Tagesgeschäft. Und das Leben ist zu lang, um sich davon beirren zu lassen. Echte Unruhen drohen erst, wenn Mainz 05 deutscher Meister wird.