Zu den vielfältigen Talenten Wolfgang Schäubles gehört das Nichtsagen, nun gelingt es ihm sogar eine ganze Stunde lang. NPD-Verbot? "Das wird ein bisschen zu intensiv diskutiert." Staatliche Online-Überwachung? "Ich habe nicht die Absicht, diese Debatte jetzt zu eröffnen." Oder etwa die Linkspartei? "Veranlassen Sie mich nicht, die Parteiführung qualifizierend zu kommentieren", sagt Schäuble in sich hineinlächelnd. Ausweichen, ablenken und abmeiern - mit dieser Strategie bestreitet der CDU-Grande die Bundespressekonferenz. Eigentlich soll es um die Vorstellung des Bundesverfassungsschutzberichts für das Jahr 2007 gehen, doch schnell konzentriert sich die Debatte um Nebenthemen des Reports: die Beobachtung der Linkspartei durch die Sicherheitsbehörden. Schuld daran ist Schäuble selbst.
"Wir beobachten ja nicht die ganze Partei"
Erst jetzt wieder titelte die "Bild-Zeitung", der Verfassungsschutz sehe "offen extremistische Strukturen" bei der Linkspartei, eine von den Behörden an die Redaktion lancierte Vorabinformation, die im Jahresbericht 2007 nur eine Randnote ist, aber in der Öffentlichkeit großes Potenzial zum Aufregen in sich birgt. Die Linken toben. Die Journalisten fragen. Und Schäuble lehnt sich zurück, stützt den rechten Ellbogen auf, die Hand zum Kinn und sagt: "Wir beobachten ja nicht die ganze Partei". Und auf die Frage, ob ein von der CDU zur Linken übergetretener Bürgermeister nun Objekt staatlicher Sicherheitsstudien wird: "Ich beobachte nicht jeden Parteiübertritt, und ich mache auch keine Datensammlung darüber"; als verstünde er die ganze Erregung nicht.
Tut er natürlich doch. Vielleicht aber ist es Schäuble ganz recht, dass heute nicht über die wahren Themen des Berichts und ihre möglichen Rechtsfolgen heiß diskutiert wird, über islamistischen Extremismus und Rechtsextremismus nämlich. Vielleicht hat seine Behörde mit der Vorabmeldung an Boulevard-Reporter eine bewusste Nebelkerze geworfen, um so wenig wie möglich über Schäubles wahre Ziele zu diskutieren: Der Stärkung der Sicherheitsarchitektur Deutschlands, im Zweifel zu Lasten von Bürgerrechten. Ein Referenten-Entwurf zur so genannten BKA-Novelle ist bereits zwischen dem Innen- und dem Justizministerium abgestimmt, bald sollen Kabinett und Regierungsfraktionen darüber befinden.
Der Entwurf regelt Rasterfahndung, den großen Lauschangriff, Telefon-Überwachung und Online-Durchsuchung, eine großzügige Erweiterung also des Instrumentenkastens deutscher Sicherheitsbehörden; da stört eine allzu öffentliche Debatte, und da erscheint folgenloses Reden über das Beobachten der Linken ganz willkommen. Die Linke zumindest macht sofort mit.
"Wir lassen uns nicht auseinander dividieren"
Wenige Minuten nach Schäubles Konferenz und nur vier Kilometer nordöstlich betritt ein erregter Dietmar Bartsch den Konferenzraum des Karl-Liebknecht-Hauses. "Ja, schönen guten Tag, meine Damen und Herren", floskelt der Bundesgeschäftsführer der Linken noch anfangs, um dann flugs loszupoltern. "Das ist eine völlig falsche Maßnahme öffentlicher Beschäftigung", ätzt er über die Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz. Nur zehn Minuten dauert sein Auftritt, aber es reicht für vier Mal "inakzeptabel", fünf Mal "unverschämt" und drei Mal für die Aufforderung, "unverzüglich" die Beobachtung einzustellen. Sicherlich ist den Linken die Tätigkeit des Verfassungsschutzes ein Dorn im Auge; schließlich werden gerade in den alten Ländern Sympathisanten dadurch abgeschreckt. Aber anstatt mit Ironie auf Schäubles Nebelkerze zu reagieren, versteht Bartsch den Verfassungsschutzbericht als Kampfansage: "Wir lassen uns nicht auseinander dividieren", sagt er zur Kommunistischen Plattform seiner Partei, die im Zentrum der Kritik durch die Sicherheitsbehörden steht. Und trifft nur mit einer einzigen Bemerkung beim Innenminister einen wunden Punkt: "Herr Schäuble selbst macht aus unserer Sicht verfassungswidrige Vorschläge mit der Online-Untersuchung und dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren."
Tatsächlich regt sich parlamentarischer Widerstand gegen Schäubles Reformpläne. "Der Bundesverfassungsschutzbericht zeigt lediglich, dass mit den bestehenden Instrumentarien die Gefahren abgewehrt werden konnten", sagt Max Stadler, Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, gegenüber stern.de, und sagt Schäuble ein Scheitern vieler seiner Änderungsziele voraus. "Der jetzige Innenminister agiert wie sein Vorgänger Otto Schily. Dessen zahlreiche Eingriffe in die Bürgerrechte mussten die Verfassungsgerichte korrigieren - und so wird es Schäuble mit vielen seiner Gesetzespläne wie dem zur Vorratsdatenspeicherung auch ergehen."
Noch kann Schäuble von seinem Ziel effektiverer Sicherheitsbehörden träumen, von der Exekutive hat er nichts zu befürchten. Doch bald werden Parlament und später die Gerichte sich mit der BKA-Novelle beschäftigen, dann wird es ungemütlich für den Innenminister. Bis dahin lächelt er, und schweigt.