Meinung Verstörender Vance-Auftritt: Europa braucht sofort einen Plan B

US-Vizepräsident JD Vance
Attackierte Europas Demokratien: US-Vizepräsident JD Vance bei seinem Auftritt in München
© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/ / Imago Images
Statt über Sicherheit zu reden, hat US-Vize J.D. Vance Europas Demokratien herabgewürdigt. Darauf kann es nur eine Antwort geben. Ein deutscher Politiker fand sie – deutlich.

Die Stimmung war eisig im Saal, als sich ein deutscher Spitzenpolitiker dem Kurs der amerikanischen Regierung entgegenstellte – damals, im Februar 2003, auf der Münchner Sicherheitskonferenz. "Excuse me, I am not convinced", rief der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer dem anwesenden US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu. Der bereitete mit US-Präsident George W. Bush parallel eine Invasion des Iraks vor und suchte dafür Verbündete in Europa. Weil Deutschland und andere Staaten nicht mitmachen wollten, sprach er öffentlich von "altem" und "neuem Europa", drohte mit Konsequenzen.

Einen Monat später marschierten die USA in den Irak ein. Das Ergebnis: ein gestürzter Diktator für den Preis zehntausender Tote und ein Irak, der zum Hort der Terrorgruppe "Islamischer Staat" wurde und bis heute instabil ist.

22 Jahre später hat die Münchner Sicherheitskonferenz einen ähnlichen Moment erlebt. Nur, dass es diesmal ein deutscher Verteidigungsminister war, der sich der US-Regierung entgegenstellte. Eigentlich hatte Boris Pistorius bei seinem Auftritt in München über die Ukraine und die Herausforderungen für die transatlantische Sicherheitspolitik sprechen wollen. Stattdessen wich er spontan vom Manuskript ab und kanzelte US-Vizepräsident J.D. Vance ab. "Nicht akzeptabel" nannte er, was Vance zuvor von sich gegeben hatte. 

Der hat seine Rede fast ausschließlich dafür genutzt, um Europas Demokratien infrage zu stellen, hatte eine mangelnde Meinungsfreiheit beklagt und gedroht, die USA würden Europa, auch Deutschland, die Unterstützung verweigern, wenn man dort nicht akzeptieren könne, dass Menschen anderer Meinung seien und damit sogar Wahlen gewönnen. 

J. D. Vance und sein ungeniertes Werben für die AfD

Es war ein ungeniertes Werben für die AfD, eine Woche vor der Bundestagswahl. Vom Vertreter einer Regierung, die Journalisten aus dem Weißen Haus verbannt, weil diese bizarre neue Sprachregelungen nicht gehorsam übernehmen wollen. Eine Regierung, die Umstürzler und Menschen, die Polizisten attackierten, begnadigt und aus den Gefängnissen entlässt.

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Vance' verstörender Auftritt hinterließ viele Europäer fassungslos. Boris Pistorius fand die richtigen Worte dafür. Er entlarvte die falschen Behauptungen von Trumps Vize, verwies auf die Auftritte von der doch angeblich unterdrückten AfD-Chefin Alice Weidel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auf die Tatsache, dass die Bundesregierung selbst jenen Medienvertretern Rede und Antwort stünde, die russische Propaganda verbreiten.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz verbat sich bei seinem Auftritt in München am Freitagmorgen jede Einmischung. Man werde "es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen", sagte er. "Das gehört sich nicht – erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten, und das weisen wir entschieden zurück." 

J.D. Vance wird all dies nicht beeindrucken. In München traf er sich nicht nur mit dem mutmaßlich künftigen Kanzler Friedrich Merz, sondern auch mit Weidel. Den amtierenden Kanzler Olaf Scholz wollte er nicht treffen. Ein Affront. Und ein weiteres Beispiel dafür, dass der neuen US-Regierung jegliche Form von diplomatischen Gepflogenheiten vollkommen egal ist. Man erinnert sich: 2008 hatte sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen einen Auftritt des US-Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Barack Obama, ausgesprochen, weil sie es für eine unbotmäßige Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf hielt.

Wie Europa reagieren sollte

Die Worte von Vance, der nichts anderes als Trumps Sprachrohr ist, sollte man ernst nehmen. Europa braucht jetzt einen Plan B. Sofort. Und weil sich die EU, in der mancher Regierungschef bereits jetzt den Bückling gegenüber Washington macht, niemals auf eine gemeinsame Haltung wird einigen können, braucht es eine "Koalition der Willigen", die mit einer eigenständigen europäischen Strategie zur Außen- und Sicherheitspolitik der USA ein Gegengewicht bildet. Der nächste Kanzler sollte dazu mit Frankreich, Polen und auch Großbritannien so schnell wie möglich den Schulterschluss suchen. 

Ein "Kerneuropa" hat der große Wolfgang Schäuble einmal in einem Positionspapier gemeinsam mit seinem Parteifreund Karl Lamers gefordert. Joschka Fischer nannte es ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Die Idee, damals auf die europäische Integration bezogen, war die gleiche: Eine Gruppe von europäischen Führern muss gemeinsam für Europa vorangehen. Wer mitmachen will, kann mitmachen. Wer zögert oder sich lieber anderweitig anbiedert, bleibt außen vor.

Die Zeit drängt.

Quadrell mit Scholz, Merz, Weidel und Habeck

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz treffen beim Schlagabtausch auf die Kanzlerkandidaten Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne). Das "Quadrell" wird von Nachrichten-Moderatorin Pinar Atalay und Moderator Günther Jauch moderiert. Es wurden die vier Kanzlerkandidaten ausgewählt, deren Parteien aktuell laut Umfragen am stärksten sind. 

Am Sonntag, 16. Februar 2025 ab 20.15 Uhr live auf RTL, ntv und beim stern. In einem Live-Faktencheck werden beim stern die wichtigsten Aussagen der vier Kandidaten auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. 

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