Die von der Ampel-Koalition eingeführte Reform des Bundeswahlgesetzes ist in Teilen verfassungswidrig. Die Richter in Karlsruhe kippten die Aufhebung der Grundmandatsklausel. Hingegen bestätigte das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Zweitstimmendeckung, womit womöglich einige Direktkandidaten trotz eines Siegs in ihrem Wahlkreis künftig nicht mehr im Bundestag vertreten sind.
Die von SPD, Grüne und FDP eingeführte Neuregelung ist seit vergangenem Juni in Kraft und soll erstmals bei der nächsten Bundestagswahl im kommenden Herbst angewendet werden. Sie sieht vor, dass Parteien mit ihrem Zweitstimmenergbenis ins Parlament einziehen können, wenn sie drei Direktmandate errungen haben. So hatten auch Parteien mit weniger als der nötigen fünf Prozent der Stimmen Chancen auf Plätze im Bundestag.
Das sollte künftig nicht mehr möglich sein, entschied die Ampel-Regierung. Ziel ist es, die Größe des Bundestags stark zu reduzieren, indem etwa Überhang- und Ausgleichsmandate künftig wegfallen.
Vor allem CSU und Linke von Wahlrechtsreform betroffen
Gegen das Gesetz waren unter anderem die bayerische Staatsregierung, 195 Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag, die Linke im Bundestag sowie die Parteien CSU und Linke vorgegangen. Zudem hatten mehr als 4000 Privatpersonen eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Antragssteller und Beschwerdeführer sahen vor allem zwei Grundrechte verletzt: die Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 38 und das Recht auf Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21 im Grundgesetz.
Durch den geplanten Wegfall der Grundmandatsklausel stand insbesondere für CSU und Linke einiges auf dem Spiel. Bei der Wahl 2021 war die CSU, die nur in Bayern antritt, bundesweit auf 5,2 Prozent der Zweitstimmen gekommen. Würde sie bei der nächsten Wahl bundesweit hochgerechnet unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, flöge sie nach dem neuen Wahlrecht aus dem Bundestag – auch wenn sie wieder die allermeisten Wahlkreise in Bayern direkt gewinnen sollte.
Die Linke zog wiederum bei der letzten Bundestagswahl nur über die Grundmandatsklausel in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. Die Partei scheiterte 2021 an der Fünf-Prozent-Hürde, gewann aber drei Direktmandate. Nach der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) steckt die Linke wieder tief in der Krise. Bei der Europawahl Anfang Juni erzielte sie nur noch 2,7 Prozent.
Bundestag kann trotz Urteil schrumpfen
Der Text des Urteils war bereits Montagabend im Internet zugänglich. Wir das passieren konnte, ist noch unklar. "Das Gericht ist gerade dabei zu prüfen, wie es dazu kommen konnte", sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats und Vizepräsidentin des höchsten deutschen Gerichts, Doris König, in Karlsruhe. "Wir bedauern, dass es eventuell aufgrund eines technischen Fehlers möglich war, das Urteil bereits seit gestern im Internet abzurufen."
Nach Einschätzung der Ampel-Koalition kann der Bundestag trotz des Urteils schrumpfen. "Denn in der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestages bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle am Dienstag. Damit sei das Herzstück der Wahlrechtsreform bestätigt worden. Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, nannte dies einen großen Erfolg. "Dies haben wir gegen den erbitterten Widerstand insbesondere der CSU durchgesetzt. Rechtzeitig für die nächste Bundestagswahl haben wir Klarheit."

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Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte, erstmalig stehe damit eine feste Größe für den Bundestag fest und zwar 630 Mandate, deutlich weniger als derzeit. Der stellvertretender SPD-Fraktionschef Dirk Wiese ergänzte, die Ampel habe "etwas geschafft, an dem eine 16 Jahre unionsgeführte Regierung insbesondere aufgrund der Weigerung der CSU gescheitert ist. Es macht Schluss mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den Bundestag immer weiter vergrößert haben und so seine Arbeitsfähigkeit gefährdet haben."
Grünen-Politiker Steffen sagte, das Thema Grundmandatsklausel sollte man sich nun in Ruhe anschauen. "Von Schnellschüssen vor der nächsten Bundestagswahl raten wir ab." Die sogenannte Grundmandatsklausel, wonach mindestens drei Direktmandate der Partei den Weg in den Bundestag ebnen, fiel im neuen Gesetz weg.
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