Als Johannes Rau vor drei Jahren zum Bundespräsidenten gewählt wurde, gab er ein Versprechen ab: Er werde nicht nur Präsident aller Deutschen, sondern auch Ansprechpartner für alle Menschen sein, »die ohne einen deutschen Pass bei uns leben und arbeiten«. Damit deutete Rau an, dass er die Integration von Ausländer zu einem zentralen Thema seiner Amtszeit machen würde.
Im Mai 2000 - als die Einwanderungsdebatte kaum richtig angefangen hatte - sprach er sich in seiner viel beachteten »Berliner Rede« unter dem Titel »Ohne Angst und Träumereien« indirekt für eine gesetzliche Regelung aus. »Einwanderung darf nicht dem Zufall überlassen werden«, sagte er zu einem Zeitpunkt, als die SPD das Projekt noch auf die nächste Legislaturperiode verschieben wollte.
Rau hat ordnungsgemäßes Zustandekommen zu prüfen
Dass ihm selbst eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung über ein solches Gesetz zukommen würde, damit konnte Rau nicht rechnen. Der seit Monaten anhaltende Parteienstreit, der am Freitag bei der Abstimmung im Bundesrat eskalierte, ist nun bei ihm gelandet. In den nächsten Wochen wird Rau zu prüfen haben, ob die Wertung des geteilten Votums Brandenburgs als Ja-Stimme verfassungsgemäß war. Nur mit seiner Unterschrift kann das Gesetz wie vorgesehen am 1. Januar 2003 in Kraft treten.
Seine Entscheidung darf Rau nur unter rein rechtlichen Gesichtspunkten treffen, politisches Handeln gehört nicht zu seinen Aufgaben. Trotzdem gerät das Staatsoberhaupt zunehmend unter politischen Druck. Kanzlerkandidat Edmund Stoiber forderte ihn am Wochenende in ungewöhnlicher Deutlichkeit auf, seine Unterschrift zu verweigern. »Wir gehen davon aus, dass der Bundespräsident diesen Verfassungsverstoß nicht mitträgt«, sagte der CSU-Chef. Dies sei »ein ganz deutlicher Appell, mehr noch: eine klare Erwartung an den Bundespräsidenten«. Stoiber empfahl Rau dann auch noch, sich bei seiner Entscheidung an seinem Vorgänger Roman Herzog ein Beispiel zu nehmen. Der hatte die Abstimmung im Bundesrat zuvor für verfassungswidrig erklärt.
Koalitionspolitiker zeigten sich empört über das Verhalten der Union. Es gehöre sich nicht, dem Staatsoberhaupt Vorschriften zu machen, sagte SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Der Grünen-Politiker Volker Beck bezeichnete den Druck der Union auf Rau als »unanständig«. Damit werde das Ansehen der demokratischen Institutionen beschädigt.
Letztes Wort hat Verfassungsgericht
Die jetzige Aufregung scheint vor allem angesichts der Tatsache übertrieben, dass der Bundespräsident ohnehin nur die vorletzte Instanz bei der Entscheidung über den Verfassungsstreit ist. Das allerletzte Wort wird das Bundesverfassungsgericht haben. Für den Fall, dass Rau unterzeichnet, hat die Union bereits eine Verfassungsklage angekündigt. Verweigert der Bundespräsident die Unterschrift, wird wahrscheinlich Rot-Grün nach Karlsruhe ziehen, auch wenn man dort bislang keinen Anlass sieht, darüber zu spekulieren.
Die FDP ist dafür, das Bundesverfassungsgericht in jedem Fall anzurufen. Die Karlsruher Richter können sich also bereits darauf gefasst machen, dass in den nächsten Wochen eine Organklage bei ihnen eingeht. Staatsrechtler Helmut Simon mahnte angesichts dieser Situation zur Gelassenheit. Man sollte die Entscheidung des Bundespräsidenten »nicht allzu hoch aufhängen«, sagte der ehemalige Verfassungsrichter am Wochenende.
Rau zwischen den Fronten
Rau selbst wäre es jedenfalls sicher lieber gewesen, er wäre nicht zwischen die Wahlkampffronten geraten. »Es ist nicht meine Aufgabe, mich an parteipolitischen Grabenkämpfen zu beteiligen«, sagte er einmal in einem Interview. Noch am Tag vor der Entscheidung im Bundesrat hatte er an beide Lager appelliert, »in dieser so wichtigen Frage eigene Interessen zurückzustellen und eine Einigung zu ermöglichen«. Vergeblich.