Der französische Geheimdienst hatte gewarnt: Dien Bien Phu werde am 13. März um 05.00 Uhr angegriffen. Die Vietminh verspäteten sich eine halbe Stunde. Oberst Pierre Langlais nahm gerade eine Dusche im Freien. In seinem 1963 erschienenen Buch "Dien Bien Phu", das auf seinem Kriegstagebuch basierte, erinnerte er sich an diesen Moment. "Einem Donner in der Ferne folgten Augenblicke später ohrenbetäubende Explosionen. Ich sprang in meinen Unterstand wie eine Ratte in ein Loch."
Die Vietnamesen, die auf seiten der Franzosen kämpften, flohen schnell. "Wer könnte es ihnen vorwerfen? Sie waren gute Soldaten in dem kleinen Krieg. Aber nach diesem Schock, welchen Grund hätten sie, ihr Leben zu verlieren?" schrieb Langlais. Er war de facto Kommandeur der 10.000 französischen Soldaten, die in Dien Bien Phu von der Bauernarmee von General Vo Nguyen Giap eingeschlossen wurden.
Außenposten um Außenposten fiel
In den folgenden Wochen fiel Außenposten um Außenposten der Franzosen. Die freiwilligen Soldaten aus Algerien, Marokko und den anderen afrikanischen Kolonien desertierten nach und nach. Die Landebahn in Dien Bien Phu wurde allmählich zu gefährlich für die Nachschubflugzeuge. Lebensmittel und Munition wurden aus der Luft abgeworfen.
"Der Nachschub konnte mit dem Krieg nicht mithalten", schrieb Langlais. "Abwürfe aus großer Höhe auf eine Zone, die Tag für Tag kleiner wurde, das bedeutete, dass uns 30 Prozent verloren ging und den Feinden zu Gute kam. Auf diese Weise wurden den Vietminh-Batterien rund 5.000 Granaten geliefert."
Bald waren die Vietminh überall
Am Morgen des 7. Mai "stand ein Schatten über unserem Graben. Es war ein vietnamesischer Soldat, sein Gesicht verzerrt durch einen Mundschutz, der seine Waffe auf uns richtete und rief: ’Ergebt euch. Ihr seid verloren.’ Wir waren wie versteinert. Eine einzige Bewegung hätte zu einem Kugelhagel geführt", schreibt Langlais. Ein anderer französischer Offizier erschoss den Soldaten von hinten. Aber schon bald waren die Vietminh überall.
"Ich überlegte schnell, was ich zerstören wollte. Ich verbrannte meine Briefe, Unterlagen, das Kriegstagebuch, dass ich jede Nacht schrieb und aus dem ich meinen Kameraden am Morgen oft vorlas, dieselben Angaben, die ich jetzt noch so erstaunlich gut in meinem Gedächtnis wiederherstellen kann. Ich verbrannte den Lederrahmen mit dem geliebten Bild der Frau, an Bord meines Segelboots, die später meine Ehefrau wurde. Ich verbrannte mein rotes Fallschirmjäger-Beret."
Die Seelenpein des Kommandeurs
Langlais, der in Gefangenschaft geriet, schließt sein Tagebuch mit einer letzten Notiz über seine Seelenpein in Bezug auf die Haltung der Vietminh im Vergleich zu seiner eigenen: "Wir haben nicht zur Verteidigung unserer Häuser gekämpft, wir haben nicht gekämpft, um Fremde von unserem Land zu vertreiben, wir haben nicht einmal gekämpft, um Indochina für Frankreich zu erhalten. Aber warum dann? Die Ehre des Waffenhandwerks, das war alles."
In Südfrankreich erinnert ein Denkmal aus Marmor und Eisen an die 58.000 Toten, die Frankreich in Vietnam zu beklagen hatte. Aber kaum 60, zumeist alte Menschen finden täglich den Weg hierhin. Am 7. Mai vor 50. Jahren kapitulierten die Franzosen in Dien Bien Phu. Und sie werden sich dabei nicht nur an diese Niederlage in Indochina erinnern, sondern auch an den Anfang vom Ende des französischen Kolonialreichs.
Die Lektion des Krieges
Für die meisten Franzosen ist die Lektion aus diesem Krieg, in dem eine Armee aus Bauern eine moderne Militärmaschinerie besiegte, klar: Auch eine Großmacht kann ihren Willen nicht einer fremden Bevölkerung aufzwingen, die ihre Angelegenheiten selbst regeln will. In den 58.000 Toten - das sind ungefähr so viele, wie auch die USA in Vietnam verloren - sind noch nicht diejenigen miteingerechnet, die auf dem Marsch in die Gefangenenlager oder in Gefangenschaft starben.
"Jeder, der hierher kommt, hat den selben Gedanken - dass sie umsonst gestorben sind", sagt Patrice Lorenzi, der Leiter der Gedenkstätte an den Indochinakrieg. Stundenlang ist er hier allein. "Dieser Ort zeigt deutlich, dass man den Menschen nicht etwas aufzwingen kann, was sie nicht wollen. Es sei denn, man ist bereit, ihr Land völlig niederzubrennen und wieder ganz von vorne anzufangen." Diese Lektion lernten die Franzosen zuerst in Indochina und dann in Algerien. Der sieben Jahre währende Krieg begann nur Monate nach dem Waffenstillstand in Vietnam 1954. Auch er endete mit dem Abzug der Franzosen.
Verlust der afrikanischen Kolonien
1960 waren aus den meisten französischen Kolonien in Afrika freie Länder geworden. Über die Vietminh, die die Franzosen in Indochina bekämpfen, schrieb Oberst Pierre Langlais, sie kämpften, "um uns aus ihrem Land zu werfen, in dem wir nichts verloren hatten."
In Paris leitet der 85-jährige General Jacques Bourry die Vereinigung der Kämpfer der Französischen Union (Association des Combattants de L’Union Francaise). In seinem Büro hängen eine große Karte von Indochina und ein Plakat: "Drei Farben, Eine Flagge, Ein Reich." Bourry beharrt darauf, die französische Absicht, die Mehrheit der Bevölkerung, die nichts vom Kommunismus Ho Chi Minhs wissen wollte, vor diesem zu bewahren, sei richtig gewesen. "Aber wir konnten nicht länger bleiben. Es gab zu viele Tote, und wir hatten einfach nicht die Mittel oder den politischen Willen." Und mit einem bitteren Lachen fügt er hinzu: "Die Amerikaner ersetzten uns, sicher, aber auch ihre enormen Möglichkeiten bewahrten sie nicht vor der Niederlage."
Die Amerikaner untersuchen das französische Vorgehen
Die Militärstrategen der USA, die derzeit in muslimischen Städten einer oft feindseligen Bevölkerung gegenüber stehen, untersuchen sehr genau das französische Vorgehen in Algerien. Der französische General Paul Aussaresses, der die Strategie gegen den Guerillakrieg entwarf, löste in seiner Heimat aber jüngst einen Sturm der Entrüstung aus, nachdem er in seinen Memoiren offen über Folter und Massenerschießungen berichtet hatte.
Etwa drei Viertel der 10.000 Soldaten in den Gräben von Dien Bien Phu kamen aus den französischen Kolonien, aus Algerien, Marokko und anderen afrikanischen Staaten sowie Vietnam. Namen im Denkmal von Frejus zeigen es deutlich: Dialo Alpha Mamadou, Tahar ben Abdesselem, Pham Me. "Das ist der Hauptgrund, warum so wenige Menschen hierher kommen", sagt Lorenzi. "Ihre Familien leben weit entfernt. Sie leben ein anderes Leben in Ländern, die nichts mit unserem zu tun haben. Die Welt ist jetzt eine andere."