Marienborn-Helmstedt Das Nadelöhr zwischen den Welten

Bereits 1945 richteten die Alliierten den Grenzkontrollpunkt Marienborn-Helmstedt ein. Während anderswo kaum noch Zeugnisse der jahrzehntelangen Trennung zu sehen sind, ist der einst gefürchtete Grenzübergang gut erhalten.

Er war ein Symbol der Teilung, wird seit 13 Jahren nicht mehr gebraucht und bleibt doch erhalten: Am früheren Grenzübergang Marienborn-Helmstedt an der Autobahn Berlin-Hannover sollen auch künftige Generationen an das unmenschliche DDR- Grenzregime erinnert werden. Teile des einstmals größten Übergangs zwischen beiden deutschen Staaten haben das letzte Jahrzehnt unbeschadet überdauert, andere werden originalgetreu saniert. Bald soll der Zustand von 1989 wiederhergestellt sein: mit Wachturm, Passkontrollhäuschen, Schranken und Schaltern für den Zwangsumtausch.

"Dies ist ein Ort des Lernens und der Begegnung und gleichzeitig ein Ort, an dem Geschichte erlebbar ist", sagt Joachim Scherrieble, Leiter der Gedenkstätte Deutsche Teilung, die sich seit 1996 auf dem Areal befindet. 165 000 Besucher wurden im vergangenen Jahr gezählt. Viele sind Schüler, die das angeschlossene Dokumentationszentrum besuchen oder an Seminaren oder Projekttagen teilnehmen.

Hunderte Fluchtversuche scheiterten

Westdeutsche denken mit Schaudern an die DDR-Grenzkontrollen, die sie oft als schikanös empfanden. "Ich hatte jedes Mal starkes Herzklopfen", erinnert sich die 45-jährige Christine Sommer aus Bremen. "Man gab den Reisepass ab und bekam ihn ewig nicht wieder. Dann musste man sein Gepäck öffnen, Hunde schnüffelten um unseren Wagen herum. Man fühlte sich so ausgeliefert." Die meisten Ostdeutschen sahen das Kontrollmonstrum erst nach der Maueröffnung. Bis dahin war es ihnen verboten, im Sperrgebiet so nah an die "Westgrenze" heranzukommen, geschweige denn sie zu überschreiten. "Der Übergang war auch ein Bollwerk des SED-Regimes gegen die eigene Bevölkerung", sagt Scherrieble. Hunderte Fluchtversuche scheiterten.

Zuletzt versahen auf dem 35 Hektar großen Gelände 1000 DDR- Grenzer, Zöllner, Stasimitarbeiter und Zivilangestellte ihren Dienst. Allein zwischen 1985 bis 1989 fertigten sie knapp 35 Millionen Reisende ab, darunter 10,5 Millionen Pkw, 4,9 Millionen Lastwagen und 140 000 Busse. Seit dem 1. Juli 1990 wird in Marienborn nicht mehr kontrolliert.

Die Geschichte des Kontrollpunktes Marienborn-Helmstedt begann im Juli 1945, als ihn die Alliierten einrichteten. 1948/49 riegelten ihn die Sowjets während der Berlin-Blockade ab. Anfang der fünfziger Jahre, beide deutschen Staaten waren bereits gegründet, übernahm die DDR-Grenzpolizei die Kontrollen des Grenzverkehrs von und nach Berlin. Das SED-Regime baute den Übergang langsam aus.

Drahtsperren, Minen, Beobachtungstürme

Mit dem Mauerbau 1961 begann die DDR, ihre Grenzsicherung mit Drahtsperren, Minen, Beobachtungstürmen und Signalvorrichtungen gegen Fluchtversuche zu perfektionieren. "Der Grenzübergang Marienborn entwickelte sich fortan zum wichtigsten Nadelöhr zwischen den Welten und zur Waffe im Kalten Krieg", erläutert Scherrieble. "Es gab Tage, an denen der immer mehr zunehmende Personen- und Warenverkehr auf der Transitstrecke reibungslos kontrolliert wurde, dann gab es wieder Tage mit langsamer Abfertigung und Schikanen."

Anfang der siebziger Jahre entspannte sich das Klima zwischen beiden deutschen Staaten, die Reiseerleichterungen und den Ausbau der Transitstrecken vereinbarten. Auf Wunsch der Stasi, die die alte Anlage für unsicher hielt, beschloss der DDR-Ministerrat den Bau eines neuen Übergangs. "Freundwärts gelegen und dadurch feindwärts nicht einsehbar", hieß es im Stasi-Jargon: Die neue Anlage entstand nicht direkt an der Grenze, sondern in eineinhalb Kilometern Entfernung auf DDR-Gebiet. 70 Millionen Ost-Mark ließ sich die DDR den Bau kosten, was Grenzdurchbrüche nahezu unmöglich machte.

Dokumentationszentrum mit Dauerausstellung

Mittelpunkt der Gedenkstätte ist das frühere Stabsgebäude, in dem heute ein Dokumentationszentrum mit Dauerausstellung untergebracht ist. "Wir dokumentieren Ursachen für die Teilung, die Ausbildung der DDR-Grenzsoldaten, Fluchtversuche, den systematischen Ausbau und schließlich Abbau von Mauer und Stacheldraht", sagt Museumspädagoge Frank Stucke. Daneben gebe es Sonderausstellungen.

Nebenan steht ein graues Terminal mit Kontrollhäuschen. Dort fotografierten und registrierten Stasi-Leute penibel jeden Pass der Reisenden - und behielten Papiere häufig länger als nötig ein. Erhalten ist auch eine so genannte Kontrollbox, in der Zöllner Westautos nach verbotenen Waren oder versteckten DDR-Flüchtlingen durchsuchte. Selbst Särge wurden geöffnet. Vom "Führungsturm" aus hatten die Verantwortlichen des Bollwerks einen Überblick über das Areal. Bei Alarm lösten sie "Fiffi" aus, einen Betonrammbock, der etwa bei Fluchtversuchen auf die Fahrbahn schnellte, um diese zu blockieren. "Er konnte einen 50-Tonner, der mit Tempo 80 fährt, stoppen", berichtet Stucke.

DPA
Stefan Kruse

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