Marktplatz - Die Hauptstadtkolumne Give Greenpeace a Chance

Give Greenpeace a Chance
Give Greenpeace a Chance
© John Macdougall/ / Picture Alliance
Die Ernennung von Greenpeace Co-Chefin Jennifer Morgan zur Klimasonderbeauftragten könnte ein Anfang sein: Warum nicht die besten Köpfe aus aller Welt für zentrale Jobs gewinnen?

Vorab, ich bin kein großer Fan von Greenpeace. Ich gehöre damit zu einer Minderheit, ich weiß. Das Anliegen der 50 Jahre alten Umweltschutzorganisation ist gut, aber zu viele Aktionen sind grenzwertig. Als etwa der Gleitschirmflieger in der Münchner Allianz Arena landete und Menschen verletzte. Oder als die Aktivisten 3500 Liter Farbe um die Siegessäule in Berlin kippten, eine Riesensauerei. Ich spende lieber an SOS Kinderdörfer. Mein Herz schlug deswegen nicht höher, wie bei vielen Kommentator:innen, als Jennifer Morgan, Co-Chefin von Greenpeace, zur deutschen Klimasonderbeauftragten ernannt wurde. Ich spitzte auch nicht den Bleistift zur Verteidigung.

Mein erster Reflex war auch: eine Aktivistin? Mein zweiter Gedanke aber bald: vermutlich eine kompetente Frau, einen Versuch ist es wert. Die Vergleiche mit Rüstungslobbyisten im Beschaffungswesen hinken. Ja, ein Coup, diese Personalie! Das brachte mich zum dritten Gedanken: mehr davon! Jennifer Morgan könnte der Anfang sein, ein Paradigmenwechsel, wie wir wichtige Posten künftig besetzen. Da, wo es rechtlich möglich und politisch sinnvoll ist, sollten wir die besten Köpfe auf der ganzen Welt zusammensuchen. Sicher, Morgan muss nun lernen, dicke Bretter zu bohren und auch mal andere Perspektiven einzunehmen. Aber das Experiment ist spannend.

Frischer Wind kann nicht schaden

Andere Bereiche machen es uns ja längst vor: In den Vorständen vieler Unternehmen sitzen Leute aus aller Welt. Vor allem Start-ups suchen sich Talente, da arbeiten oft Menschen aus Dutzenden Nationen. Im Sport ist es gang und gäbe, eigentlich so sehr gang und gäbe, dass das globale Casting samt Einbürgerung mit dem Tempo einer Fünf-Minuten-Terrine mithalten kann – und seltsame Blüten treibt. Schauen Sie sich dieser Tage mal die chinesische Eishockey-Nationalmannschaft an, in der allein elf Kanadier und drei US-Amerikaner spielen. Aber so weit sind wir ja nicht.

Annalena Baerbock, Bundesaussenministerin, stellt im Auswaertigen Amt Jennifer Morgan als neue Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik vor
Annalena Baerbock, Bundesaussenministerin, stellt im Auswaertigen Amt Jennifer Morgan als neue Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik vor
© Thomas Trutschel/ / Picture Alliance

Es gibt erste Ansätze: Unsere oberste Finanzaufsicht Bafin wird, nach Versäumnissen und Skandalen, inzwischen von dem Briten Mark Branson geführt. Die Briten wiederum hatten mit Mark Carney einen fähigen Kanadier an der Spitze ihrer Notenbank. Insofern: Give Greenpeace a Chance. Nur sollten wir nicht, wenn jemand mal Investmentbanker war, gleich Skandal schreien – und bei Umweltaktivisten jubeln.

Es ist nicht so, dass wir ein hoch kompetitives System sprengen, das Niveau ist ja überschaubar. Bisher muss mit vielen Ämtern vor allem jemand aus einer Partei versorgt werden. Der Wettstreit läuft zwischen der Landesgruppe Hessen und dem Saarland, zwischen Realos oder Linken, und bitte nicht den Ossi vergessen. Vor allem muss jemand belohnt werden, der im Wahlkampf gute Arbeit gemacht hat. Viele von ihnen machen natürlich danach auch gute Arbeit. Aber ein kreativer Störfaktor in der Geschacherarithmetik und eine Frischzellenkur können nicht schaden. Vor allem der neuen Generation von Politikern, die den Ton angeben, denn die kommen oft nur noch aus den Parteikaderschmieden: Leute wie Kevin Kühnert, Omid Nouripour und Konstantin Kuhle.

Die Greenpeace-Personalie hat aufgeschreckt

Die Mischungs macht’s. Man braucht auch Leute, die den Laden kennen und die Maschinerie im Griff haben – wie der berühmte "ewige Staatssekretär" Werner Gatzer im Finanzministerium. Wenn man es zu weit treibt, wird es chaotisch. Wie man im Hause Habeck sehen kann, wo schon jetzt eine gewisse Überforderung auf Staatssekretärsebene herrscht.

Uns tut es ganz gut, dass uns diese Personalie ein wenig aufgeschreckt hat. Klagen wir nicht oft über Fachkräftemangel, zumal Politiker in Talkshows? Sie denken dabei an Pfleger, Ingenieure und Handwerker. Warum nicht mal an der obersten Werkbank anfangen? Einen Versuch ist es wert.

Erschienen in stern 8/2022