Fried – Blick aus Berlin Geht es Olaf Scholz in seiner Ukraine-Politik am Ende nur um Machterhalt?

Olaf Scholz am Rednerpult
"Ob Scholz richtig handelt, welche Konsequenzen das für die Ukraine hat, kann heute noch niemand wissen", schreibt stern-Autor Nico Fried
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Keine Bodentruppen, kein Taurus – ändert Olaf Scholz aus taktischen Motiven seine Ukraine-Politik? Nicht alles, was aussieht wie Wahlkampf, ist es auch.

Das ging schnell. Einmal Bodentruppen ausgeschlossen, einmal Taurus-Marschflugkörper verweigert – schon sieht sich Olaf Scholz dem Verdacht ausgesetzt, seine Ukraine-Politik zu ändern und wegen schlechter Umfragewerte mit der Angst vor dem Krieg zu spielen.

Und hört nicht die Partei genau die Signale? SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach plötzlich vom "Einfrieren" des Ukrainekriegs. Zuletzt lobte sogar Gerhard Schröder seinen Nach-Nachfolger Scholz. Das ist angesichts der Freundschaft Schröders mit Wladimir Putin fast die Höchststrafe für die Ukraine-Politik des Kanzlers. Liefert Deutschland statt des Stiers jetzt tatsächlich nur noch Friedenstauben?

SPD-Politiker Rolf Mützenich
Ukrainekrieg einfrieren – hat die SPD den Verstand verloren?
© DPA
Der 5-Minuten-Talk: Ukrainekrieg einfrieren – hat die SPD den Verstand verloren?

Es gibt da gewisse Ähnlichkeiten. Nach dem 11. September 2001 hatte Schröder den USA "uneingeschränkte Solidarität" gegen den Terror zugesichert und die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt. Als George W. Bush unter vorgeschobenen Gründen gegen den Irak mobilisierte, scherte Berlin aus.

Die Solidarität von Olaf Scholz hat Grenzen 

Olaf Scholz hat rund 20 Jahre später nach dem russischen Überfall auf die Ukraine viele Milliarden Euro lockergemacht und – wenn auch manchmal etwas zögerlich – im Ergebnis mehr Waffen geliefert als alle anderen Europäer. Mit seinem Nein zu Bodentruppen und dem Taurus hat der Kanzler allerdings auch klargestellt, dass seine Solidarität Grenzen hat, wenn er die Sicherheit Deutschlands gefährdet sieht.

Die zwei Kriege sind nicht zu vergleichen. Wohl aber, dass Schröder wie Scholz aus ihrem anfänglichen Engagement, mit dem sie auch Grenzen deutscher Außenpolitik neu gezogen hatten, die Legitimation herleiteten, irgendwann Nein zu sagen. Das aber ist nicht verwerflich, es ist Politik.

Schröder inszenierte sich als Friedenskanzler

Schröders Entscheidung damals war richtig, wie man weiß. Ob Scholz richtig handelt, welche Konsequenzen das für die Ukraine hat, kann heute noch niemand wissen. Und auch nicht, welchen innenpolitischen Effekt die Festlegungen des Kanzlers nach sich ziehen werden. Das aber ist der Kern des Verdachts gegen Scholz: dass er versucht, jenen Wahlkampf zu kopieren, in dem sich Schröder 2002 erfolgreich als Friedenskanzler inszenierte.

So. Jetzt mal alle durchatmen.

Stellen wir uns vor, Scholz hätte auf Emmanuel Macrons Äußerung zu Bodentruppen nicht reagiert. Die Debatte wäre explodiert. Zieht die Bundeswehr in die Ukraine? Müssen deutsche Soldaten auf Russen schießen? Der Kanzler schweigt – wer schweigt, stimmt zu. Und so weiter. Es war richtig, dass Scholz das eingefangen hat.

Der Verdacht, Scholz instrumentalisiere die Angst vor dem Krieg, läuft zugespitzt auf diesen Vorwurf hinaus: Der Kanzler klammert sich an die Macht und opfert dafür notfalls die Ukraine. Scholz verfolgt also rein taktische Motive. Oh ja, so was gibt es in der Politik, immer wieder. Aber bisweilen dünkt mich, dass manche die Fokussierung auf taktische Motive betreiben, weil alles andere zu kompliziert ist. Ich für mich könnte das jedenfalls rückblickend nicht für alle Zeiten reinen Gewissens in Abrede stellen. Wozu Sachthemen erörtern, wenn es auch einen Machtkampf zu berichten gibt?

Die Grüne Agnieszka Brugger, eine stets sachkundige Abgeordnete, die Taurus-Lieferungen unterstützt, hat jüngst im Bundestag gesagt, ihre Fraktion wäge diese Entscheidung natürlich sorgfältig ab und sei sich der Tragweite bewusst. "Das lassen wir uns nicht absprechen – auch nicht vom Bundeskanzler." Brugger erhielt dafür zu Recht viel Applaus. Aber wir sollten den Satz bis zum Beweis des Gegenteils auch für Olaf Scholz gelten lassen.

Erschienen in stern 13/2024