Wenn der Kanzler gut aufgelegt ist, muss man meist nicht lange auf einen flotten Spruch warten. Zum Beispiel den: "Wenn der Wind ins Gesicht bläst, muss man den Rücken steif machen." Gesagt vor sieben Jahren, hält sich Gerhard Schröder bis heute dran. Ausführlich ließ er sich über das Projekt "Perspektive Deutschland« unterrichten - man kann ja nie wissen, was da wieder auf einen zukommt. Auch Herausforderer Edmund Stoiber wollte genau wissen, was es mit der Online-Befragung auf sich hat, die der Unternehmensberater McKinsey, T-Online und der stern gemacht haben.
Das Interesse ist verständlich. Was die Bürger in der größten Internet-Umfrage, die es bisher in der Bundesrepublik gab, zur Lage der Nation zu Protokoll gaben, liefert Dynamit fürs Wahljahr 2002: Das Vertrauen der Deutschen in den Staat als Problemlöser ist schwer ramponiert. Beim Thema Nummer eins für die allermeisten, dem Arbeitsmarkt, äußert sich nicht mal jeder zehnte Bundesbürger zufrieden mit der Leistung des Staates. In Ostdeutschland sind es sogar nur drei Prozent. Bitter für Schröder, der mit diesem Thema eigentlich mal vorhatte, die Wahl zu gewinnen.
Tiefer Riss durch die Republik
Dramatischer aber noch: Von "blühenden Landschaften" ist im Osten weit und breit nichts zu sehen, im Gegenteil. Der Riss, der zwischen West und Ost durchs Land geht, dürfte tiefer sein als bislang angenommen. Während die Westdeutschen überwiegend zufrieden sind mit dem Leben an ihrem Wohnort, gibt die Mehrzahl der Ostdeutschen an, in ihrer Region unzufrieden zu sein.
Mehrere Monate lang konnten sich Online-Nutzer durch Dutzende von Fragen klicken. Was von den Initiatoren McKinsey, T-Online und dem stern als Experiment gedacht war, erwies sich als Renner. 170.000 Menschen gaben Auskunft über ihre Zufriedenheit, über Erwartungen an den Staat in Bereichen wie Bildung, Arbeit und Familie und über ihre Bereitschaft, sich zu engagieren.
Weil die Internetnutzer erst für ein Viertel der Bevölkerung stehen, lief parallel eine repräsentative Befragung zu denselben Themen. Ein wissenschaftlicher Beirat mit dem US-Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Professor Daniel L. McFadden von der Universität Berkeley an der Spitze entwickelte über den Abgleich beider Gruppen eine Methode, die Online-Resultate so zu gewichten, dass sie, mit geringen Abweichungen, auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden können. Dank der hohen Teilnehmerzahl gibt es nun erstmals Daten, die sich auf knapp hundert Regionen in Deutschland herunterbrechen lassen.
Stimmung im Osten auf dem Tiefpunkt
So lässt sich, ein Novum, ein bundesdeutscher Atlas der Zufriedenheit zeichnen. Wer die Karte sieht, muss glauben, dass die DDR wieder auferstanden ist. Die Stimmung im Osten ist gut elf Jahre nach der Wiedervereinigung auf dem Tiefpunkt. Arbeitslos, abgehängt, hoffnungslos - die gar nicht mehr so neuen Bundesländer empfinden sich selbst als bundesdeutsches Mezzogiorno. Gefragt, ob die Menschen in ihrer Region, an ihrem Ort alles in allem gut leben, offenbart sich ein erschreckendes West-Ost-Gefälle.
Deutschland, einig Vaterland? Von wegen. Geht es um die allgemeine Zufriedenheit, die geprägt ist von sicheren Arbeitsplätzen, aber auch einer attraktiven Umwelt und intakten Sozialstrukturen, dann hat Sachsen-Anhalt mit Bayern so viel gemein wie Sibirien mit dem Silicon Valley.
Vorne liegen Bundesländer im Norden (Schleswig-Holstein, Hamburg) und im Süden (Bayern, Baden-Württemberg) mit jeweils rund 75 Prozent zufriedenen Bürgern. Am Ende sämtliche Ost-Länder. Das traurige Schlusslicht bildet Sachsen-Anhalt. Hier, zwischen Magdeburg und Halle, bezeichnen sich nur 29 Prozent der Bevölkerung als zufrieden. Wer vom Untermain (82 Prozent Zufriedene) in die nur rund 500 Kilometer entfernte Oberlausitz (21 Prozent Zufriedene) reist, betritt eine andere Welt. Ein Resultat, das alle verzweifeln lassen muss, die seit 1991 rund 700 Milliarden Euro in den in weiten Teilen gescheiterten Aufbau Ost gesteckt haben.
Nicht alles ist schlecht im Osten
Dass nicht alles schlecht ist im Osten, dafür sorgt, Ironie der Geschichte, ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten: Bei der Kinderbetreuung sind die Länder zwischen Oder und Elbe vorbildlich - entsprechend zufrieden zeigt sich hier die Bevölkerung. In Sachsen-Anhalt stehen für je 1000 Kinder 719 Krippenplätze zur Verfügung. Ganz anders in Baden-Württemberg: Dort bekommt nicht mal jedes zwanzigste Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz. Entsprechend groß ist der Verdruss. Im Westen Deutschlands nennen 90 Prozent aller Mütter als wichtigsten Grund dafür, dass sie nicht erwerbstätig sind, die unzureichende Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder. "Mütter und vor allem Alleinerziehende in den Bundesländern im Westen werden durch diesen Notstand vom Berufsleben ausgeschlossen", analysieren die Berater von McKinsey.
Die Online-Umfrage kann als Barometer gesehen werden: Bayern liegt bei der Bildung, was die Zufriedenheit der Bevölkerung angeht, ganz vorn. SPD-regierte Länder, die stark auf Gesamtschulen setzen, landen allenfalls im Mittelfeld. In Bremen, Berlin und Brandenburg, wo die Menschen mit dem Bildungsangebot am unzufriedensten sind, können sich, so wie es aussieht, die zuständigen Minister und Senatoren schon mal ein paar Argumente einfallen lassen, warum das eigentlich gar nicht so schlimm ist, wenn Kinder doof bleiben.
Glauben wird's ihnen sowieso keiner.