Stern-Chefredakteur nach Weidel-Titel "Wir Medien müssen uns überlegen, wie wir die Leere der Populisten aufdecken, ohne bevormundend zu wirken"

Der aktuelle stern-Titel: Machen TikTok und Instagram unsere Kinder kaputt?
Das stern-Titelthema diese Woche: "Machen TikTok und Instagram unsere Kinder kaputt?"
© stern
Der stern-Titel aus der vergangenen Woche mit Alice Weidel hat eine Debatte angestoßen, auf die Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in seinem aktuellen Editorial eingeht.

Vorige Woche habe ich an dieser Stelle geschrieben, stern-Titel sollten Diskussionen auslösen. Unser Titelgespräch mit Alice Weidel von der AfD hat dies getan, über das Gespräch wurde diskutiert, sehr oft kritisch. AfD-Anhänger regten sich ungeheuer über unsere Frage auf: "Was können Sie eigentlich außer Hass?" Andere Kritik konzentrierte sich auf drei Punkte: Überhaupt mit Weidel zu reden, denn mit Nazis spreche man nicht. Dann die Entscheidung, Weidel auf den Titel zu heben, professionell fotografiert, wie immer bei unseren Titelgesprächen. Und schließlich Kritik an der Gesprächsführung: Wir seien Weidel auf den Leim gegangen, wir hätten ihr nicht genug widersprochen.

Ich will diese Kritik gar nicht im Detail zu widerlegen versuchen, denn es sind Fragen, über die wir auch gestritten haben. Und wir haben uns keinen Moment lang eingebildet, wir könnten die perfekte Lösung finden für den Umgang mit Extremisten, die sich um Fakten kaum scheren, oder sie gar auf einen Schlag entlarven.

Mich irritiert nur die Selbstgewissheit derer, die unseren Ansatz – mit der AfD streiten, auch in einem Interview – so pauschal verurteilen. Viele Politiker verweigern jede Auseinandersetzung mit der AfD. Medien haben Spaziergänge mit AfD-Leuten versucht, seitenlange Porträts. Meist ging es darum, ihnen Tabubrüche nachzuweisen und uns selbst zu vergewissern, dass wir moralisch auf der richtigen Seite stehen. Das ist beides nötig, hat aber das "Anderssein" der Partei, das auf manche Wählerinnen und Wähler anziehend wirkt, vielleicht nur verstärkt. Was wir nie wirklich hinbekommen haben: zu zeigen, was für ein trauriger Haufen das ist und wie wenig die "Alternative für Deutschland" anzubieten hat.

Streitgespräche und Sorgen zu den Populisten

Ich habe länger in Ländern gelebt, in denen mittlerweile der Diskurs von Hass geprägt wird. In den USA, wo der Rassist Donald Trump Präsident werden konnte. In Frankreich, wo wir gerade wieder erleben, wie sehr das Ideen-Gift von Le Pen und Co. wirkt. Ich will das nicht für Deutschland, gerade nicht für Deutschland mit seiner ganz besonderen Geschichte. Der stern will das nicht, der sich immer gegen Extremismus ausgesprochen hat. Und deswegen müssen wir ringen und streiten. In dieser Ausgabe etwa tun dies die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl und der Publizist Hasnain Kazim: Strobl warnt vor der Angstlust an der AfD, Kazim aber plädiert dafür, die Rechten und ihr Reden nicht zu ignorieren. Unsere Kolumnistin Jagoda Marinić wiederum fürchtet, dass sich die rechten Populisten "vor Freude im Dreck suhlen" über jedes Wort, das man von ihnen verbreitet.

Streiten müssen wir aber nicht über die politischen Lösungsvorschläge der AfD, denn die gibt es kaum. Sondern darüber, wie wir zeigen können: Populisten zu wählen gibt vielleicht kurz ein gutes Gefühl, weil sie ein Ventil bieten für Ängste, Sorgen, Probleme, die gerade auf uns einprasseln. Aber Populisten helfen nie wirklich Menschen, weil sie immer zuerst an sich selbst denken. Das muss die Politik klarmachen, indem sie Lösungen schafft und darüber immer wieder spricht, damit möglichst viele mitbekommen: Die wollen was und die reden nicht nur. Und wir Medien müssen uns überlegen, wie wir die Leere der Populisten aufdecken, ohne bevormundend zu wirken. Das wird mal besser gelingen, mal weniger gut, aber der Versuch sollte normal werden. Dazu einen Anstoß zu leisten war unser Ziel.

Erschiene in stern 28/2023

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