Während der Corona-Pandemie machte ein Schlagwort Karriere: "Follow the science!" Was bedeutet: "Folgt den Erkenntnissen der Wissenschaft!" Auch Politiker der FDP brachten diese Forderung gern in Talkshows ins Spiel, um allzu strenge Schutzmaßnahmen der Bundesregierung abzulehnen. Heute ist klar, dass die Politik bei der Bekämpfung des Virus der Forschung zu selten gefolgt ist. Viele Maßnahmen wurden vielmehr aus politischem Kalkül eingeführt oder abgeschafft – teils entgegen gesicherten Wissens. Man denke nur an die Zwei-G-Regelung, die Geimpften oder Genesenen freien Zugang zu Veranstaltungen gewährte, obwohl akademisch längst klar war, dass auch sie weiterhin ansteckend sein können.
Bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels wiederholt sich das Übel leider. In diesen Tagen verweigert sich FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der Wissenschaft zu folgen. Er blockiert ein EU-weites Verbrenner-Aus ab 2035 und will dem erst zustimmen, wenn ab diesem Zeitpunkt auch noch neue Verbrenner zugelassen werden, die mit E-Fuels fahren, also mit künstlichem Sprit. Anders ausgedrückt: Er fordert, dass Pkw mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch erste Wahl sein können - und nennt das "Technologieoffenheit".
Forderung ist völliger Unsinn
Nach den Gesetzen der Physik ist Wissings Forderung völlig unsinnig. Klimaneutrale E-Fuels, gewonnen aus Wasserstoff, der mit Grünstrom hergestellt wird (und CO₂ aus der Luft) sind wegen der mehrfach nötigen Energieumwandlung höchst ineffizient – und damit teuer. Mit einem akkubetriebenen Elektroauto kommt man bei gleichem Energieeinsatz etwa fünfmal weiter als mit E-Fuels. Mediziner warnen zudem, dass bei deren Verbrennung nach wie vor – wie bei Benzin und Diesel – gesundheitsgefährdende Schadstoffe in die Umwelt gelangen, etwa Stickoxide, die in Deutschland schon zu Fahrverboten in Innenstädten geführt haben. Und dann ist schließlich der Akkuantrieb längst erfolgreich im Einsatz, effizient und emissionsfrei; die Batterieleistung, so die Prognose, wird sich bis 2035 vervielfachen.
Aber all dieses Wissen schert Wissing scheinbar nicht. Auch nicht, dass ein Aus der Verbrenner im Koalitionsvertrag verankert ist. Der FDP-Mann macht Deutschland, das in der EU immer gern als Musterknabe beim Klimaschutz auftrat, zum unzuverlässigen Partner. Er setzt sogar weltweit eine Reputation aufs Spiel, die nur schwer zurückzugewinnen ist. Das Schlimmste: Er pflanzt mit seinem Verhalten den Deutschen Flausen in den Kopf, die das Zeug haben, die verbreitete Bereitschaft zur notwendigen Energiewende zu unterminieren.
Wissing tut das, weil er wieder Klientelpolitik für Beschäftige mit Dienstwagenanspruch treiben will. Für Mittelständler und Freischaffende, die alte Stammwählerschaft. Die FDP flog aus drei Landtagen, seit sie Mitglied der Ampelkoalition ist, und weiß sich offenbar nicht anders zu helfen. Denn Kunden tonnenschwerer SUVs, fünf Meter langer Hochpreiskombis oder röhrender Sportwagen können sich wohl nur schwer vorstellen, mit der Kraft von Elektronen, statt mit Molekülen über die Straßen zu jagen. Es ist überraschungsfrei, dass Porsche-Chef Oliver Blume und BMW-Boss Oliver Zipse Wissing zu Seite springen, während die Massenhersteller der Welt sich längst auf E-Autos festgelegt haben.
Nicht nachgeben beim Verbrenner-Aus
Jetzt kommt es in der Bundesregierung wie in Brüssel darauf an, nicht nachzugeben beim Verbrenner-Aus. Der menschengemachte Klimawandel ist real und erfordert schnelles Handeln, um das EU-Ziel zu schaffen, die Netto-Treibhausgasemissionen schon bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken ("Fit for 55"). Etwa 30 Prozent aller CO₂-Emissionen in der EU entstammen dem Verkehr. Deutschland muss dabei Vorreiter sein und bleiben, denn mit 8,1 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Kopf und Jahr liegen die Deutschen weit über dem EU-Durchschnitt von 6,3 Tonnen.
Die meisten FDPler sind durchaus kluge Leute und wissen das alles selbstverständlich. Ihnen ist bekannt, über welches gesicherte Wissen Naturwissenschaftler und Statistiker verfügen, und dass ein Verbrennerverbot in diesen klimabewegten Zeiten kein prinzipiell abzulehnender, ordnungspolitischer Eingriff in den freien Markt ist. Die Partei muss sich endlich trauen, entsprechend zu handeln. Auf Dauer wird sie politisch nur erfolgreich sein, wenn die dem Wahlvolk reinen Wein einschenkt.